Schleudersitz auf Schienen

Zug 63688 von Brig nach Wangen bei Olten ist in Kürze abfahrbereit.

Wir machen die Schweiz unsicher

Ich war Lokführer bei DB Regio. Und das wäre ich vermutlich heute noch. Wenn ich nicht in einer Pause im Aufenthaltsraum in Freiburg mitgehört hätte, wie ein Kollege sagte, er ginge in die Schweiz. Das hatte ich bereits einige Jahre zuvor vorgehabt, aber dort standen sämtliche Signale auf rot (siehe https://stefansblog.net/milchmaedchen-im-management/). Entsprechend wurde ich jetzt hellhörig. Es handelte sich um die Firma railCare, die entgegen ihrem Namen nicht in der Schienenpflege tätig ist, sondern Güterzüge für die schweizerische Coop-Gruppe fährt, einen der beiden dortigen Einzelhandelsriesen. Und siehe da, man war an mir interessiert.

Wenn man in einem Land einen Zug fahren kann, heisst das noch lange nicht, dass man das auch in einem anderen kann. Die Vorschriften sind auch in Zeitalter der europäischen Einigung noch weitgehend national. Das hiess, ich durfte ein weiteres Mal die Schulbank drücken. Der Kurs dauerte sechs Monate, hiess „Netzzugang“, wurde von der Firma MEV in Muttenz durchgeführt und war, wie alles in der Schweiz, nicht ganz billig. Die Gesamtkosten konnten mehr als Fr. 60‘000 betragen (63.000 €)😲 Darin eingeschlossen allerdings eine Ausbildungsvergütung, die bereits höher lag als das volle Gehalt eines deutschen Lokführers. Trotzdem: Weil nicht jeder ein so fettes Sparschwein hat, läuft das normalerweise so ab, dass railCare gegenüber der MEV in Vorleistung tritt und der Lokführer jeden Monat Fr. 1‘000 abzahlt. Was bei einem vorzeitigen Abgang ein Problem darstellen kann. Aber wir wollen den Dingen nicht vorgreifen.

Es gibt viel zu pauken. Tun wir’s uns an😉

In der Ausbildung lernte man, was Slalom- und Fluchtfahrten, Entfluchtung und Entpannung sind. Nein, da fehlt kein „s“😉 Behandelt wurden allgemeine Fahrdienstvorschriften, harmonisierte Betriebsvorschriften, Ausführungsbestimmungen Infrastruktur, Betriebsvorschriften von railCare und das European Train Control System (ETCS). Das bedeutet im Wesentlichen Führerstandsignalisierung, ähnlich wie die deutsche LZB. Der Unterschied liegt darin, dass bei Störungen an der LZB die altbewährte PZB mit den klassischen Signalen und Magneten an der Strecke die Rückfallebene bildet. Auf den schweizerischen ETCS-Strecken stehen aber keine Signale. Entsprechend kompliziert werden die Dinge im Störungsfall. Dann ist auf Merkblättern ganz genau vorgeschrieben, wie der Lokführer vorzugehen hat. Das liess sich in der Praxis natürlich nicht üben, sondern nur am Simulator.

Fahrt mit ETCS Level 2. Man beachte die Uhrzeit😲

Auch für den Lötschberg- (35 km) und den Gotthard-Basistunnel (57 km) gab es eine gesonderte Instruktion über die jeweiligen Betriebs-, Schutz- und Rettungskonzepte. Für die Streckenkunde musste man jede Strecke samt Umleitungsstrecken in jeder Richtung mindestens viermal befahren, wenn möglich einmal bei Dunkelheit. Entweder selbst in Begleitung eines erfahrenen Kollegen oder als Mitfahrer im Führerstand, gerne auch bei der SBB. Wenn man bedenkt, dass railCare fast in der ganzen Schweiz unterwegs ist, stellte das einen gewissen Aufwand dar. Da gab es die französischsprachigen Kollegen, die in der Westschweiz stationiert waren, und die italienischsprachigen im Tessin. Wir deutschschweizerischen Lokführer hatten zwei Einsatzorte: Hunzenschwil im Kanton Aargau und Wangen bei Olten im Kanton Solothurn. An beiden befinden sich, nicht verwunderlich, Coop-Verteilzentren. Wo man eingesetzt wurde, konnte man sich nicht aussuchen, und weil zwischen den beiden 25 km voneinander entfernten Standorten keine direkten Züge verkehrten, und auch mit Umsteigen zu nachtschlafener Zeit keine mehr fuhren, kam man um einen Wagen kaum herum. Die Touren selbst waren sehr abwechslungsreich, führten sie doch nach

  • Pratteln bei Basel
  • Niederbottigen bei Bern
  • Vufflens bei Lausanne (wenn man französisch konnte)
  • Gwatt bei Thun
  • durch oder über den Lötschberg nach Brig
  • Goldau an der Gotthardstrecke
  • Gossau bei St. Gallen
  • Felsberg bei Chur
Unser kleiner Freund in Felsberg. Ist er nicht süss?😍

Nach der Festellung der Prüfungsreife durfte ich zur praktischen Prüfung antreten. Ich war schon die ganze Woche über angespannt gewesen, hatte schlecht geschlafen und war so nervös wie selten vor einer Prüfung. Eine kleine Unachtsamkeit genügte um durchzufallen. Als es losging, verwechselte ich ein Abschnitts- mit einem Ausfahrsignal. Die hatten denselben Grünton und waren deshalb schwer zu unterscheiden😉 Dann piepte die Zugüberwachung, weil ich in Biel 30 m vor einem roten Signal noch 6 km/h draufhatte und sie dachte, ich würde darüber hinausschiessen. Der Tempomat war bei der Prüfung nicht zugelassen. Obwohl ich sicherheitshalber immer versuchte, 5 km/h unter der zulässigen Geschwindigkeit zu bleiben, hatte ich beim Bergabfahren übersehen, dass hinter Frutigen nur 80 km/h erlaubt waren, und hatte 84 km/h drauf. Ich weiss nicht, ob der Prüfer es gesehen hat, und wenn ja, ob er mich deshalb hätte durchfallen lassen. Jedenfalls meinte er zuletzt, er sei neben mir sehr entspannt gewesen, und meine Leistung sei „gut bis sehr gut“ gewesen😎 Damit endete mein Ausbildungsvertrag, und ich arbeitete als richtiger Lokführer😊

Der 50812, mein erster eigener Zug im Basler Rangierbahnhof. Zum Glück „nur“ 224 m kurz und 341 t leicht😉

Der New- und der Oldtimer

railCare hatte sieben geleaste moderne Vectron-Loks von Siemens (Baureihe 193 in Deutschland, 476 in der Schweiz). Die beherrschten alle Tricks. Beispielsweise die halbautomatische Bremsprobe, dank der man nur einmal und nicht zweimal zum Zugschluss und wieder vor zur Lok spazieren musste. Oder den Zuglängenzähler, der „miep-miep“ machte, wenn man die letzte Weiche abgedeckt hatte. Er klang so ähnlich wie die Comic-Figur „Roadrunner“ und wurde deshalb nach dieser benannt. Am meisten aber schätzte ich den Tempomaten. Die Kehrseite der Medaille war ein lästiger Softwarebug beim Aufschalten des Führerstands, der schon mal dazu führte, dass ich beim Umfahren in Dottikon das Streckengleis blockierte und die S-Bahn dadurch 11 Minuten Verspätung machte. In Deutschland und in anderen Ländern kaum der Rede wert, aber in der perfektionistischen Schweiz eine mittlere Katastrophe😉 Und auch an einen Fahrdraht-Sensor, der den Stromabnehmer in Abschnitten ohne Oberleitung senkt, hatte niemand gedacht, geschweige denn an einen Mechanismus, um einen übergeschnappten Bügel wieder zu senken (siehe unten)🙁

Wenn die Siemens-Techniker mit der Ölkanne anrückten, lief die Elektronik wieder wie geschmiert😉
Siemens nervt, oder der Beweis, dass Lokomotiv-Ingenieure die von ihnen konstruierten Loks nicht fahren. Hier treiben beispielsweise nur die Motoren 1 und 3 den Zug an. Die beiden Achsen müssen erst durchdrehen (in der Bahnsprache schleudern), bis die Lok die anderen beiden dazunimmt. Unnützer, kontraproduktiver Zusatzaufwand☹️ Permanenter Allradantrieb wäre nicht nur einfacher, sondern auch besser.

Weil sieben Vectrons nicht ausreichten, hatte man von der SBB zwei über 50 Jahre alte Oldtimer der Baureihe 420 gemietet, nach ihrer Achsfolge Bo’Bo‘ genannt. Deren Alter lässt darauf schliessen, dass sie seinerzeit sehr dauerhaft gebaut wurden. Ihre Bedienung war, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig😉 Es war so ähnlich wie mit der Gangschaltung beim Autofahren: Die Vectron machte alles Mögliche automatisch, bei der Bo’Bo‘ war Handarbeit angesagt. Entweder man liebte sie oder man hasste sie. Unsere einzige verbliebene Kollegin bekam jedesmal Schweissausbrüche, wenn sie sie fahren sollte. Auch mir war sie nie ganz geheuer:

  • Vor allem der Stufenschalter war mühsam. Beim Abschalten der Leistung durfte man ihn nicht einfach auf null stellen, sondern musste ihn stufenweise zurücknehmen, weil sonst die Trennschütze herausspringen konnten.
  • Beim Andrücken durfte man die Leistung nicht länger als fünf Sekunden aufgeschaltet lassen, weil sonst der Kommutator durchbrennen konnte.
  • Auch die schlecht dosierbare direkte Bremse machte einem beim Rangieren das Leben nicht einfacher: Zuerst war überhaupt keine Bremswirkung zu spüren, dann dafür umso abrupter.
  • Bremste man gleichzeitig elektrisch und pneumatisch, musste man mit dem Fuss den „Pilzknopf“ drücken, um eine Überbremsung der Lok, blockierende Räder und Flachstellen zu vermeiden.
  • Wenn man den Maschinenraum betreten wollte, musste man zuerst den Hauptschalter auslegen, weil sonst Lebensgefahr bestand😲
  • Bei Dunkelheit und in Tunnels machten die trüben Funzeln keinen Spass☹️
  • Und dann kann die Lok beim elektrischen Bremsen schon mal vor- und rückwärts verwechseln (siehe unten)😲
Für sein Alter von 50 Jahren hatte der Oldtimer sich gut gehalten. Und meistens lief er auch😉
Der Führerstand der Bo’Bo‘. Das ZUB oben links wurde nachgerüstet.
Aber es ging auch noch älter: Die deutsche Schnellzugdampflok 01 202 war in Lyss, Kanton Bern, stationiert.

Güter versus Personen

Cargo-Schichten waren der krasse Gegensatz zum Personenverkehr. Fahrpläne bildeten nur eine grobe Orientierung. Güter konnten sich ja auch nicht beschweren, wenn sie spät dran waren😉 Es kam vor, dass der Zug bei Schichtbeginn noch nicht fertig war. Wenn die Rangierer schliesslich das OK gaben, brauchte man noch eine Trasse. Zur Stosszeit in Dottikon konnte das gut und gerne mal weitere 40 Minuten dauern. Fuhr man pünktlich los, aber konnte die Verteilzentrale den Zug am Bestimmungsort noch nicht annehmen, hatte man unterwegs schon mal eine Stunde Stillstand. Ich hatte dafür immer ein Buch dabei.

Und dann gab es noch das Arbeitszeitgesetz (AZG). Nach fünf Stunden musste man mindestens 20 Minuten Pause machen. Selbst wenn der Zug dadurch noch mehr Verspätung bekam. Das Argument lautete stets: „Wenn etwas passiert, schauen sie, ob du das AZG eingehalten hast.“ Ich fragte mich, woher das Gesetz wusste, wann ich fit war und wann nicht😉 Und warum Nachtschichten laut AZG erlaubt waren😉 Wenn man um 4.00 Uhr in Brig ankam und um 13.00 wieder auf der Lok sein musste, ging das nicht anders, weil das unsere einzige Übernachtungstour war. Aber wenn ich drei Tage später am Donnerstag bis 21.30 Uhr arbeitete und am Freitag früh um 7.00 Uhr schon wieder anfangen musste, fand ich das nicht so toll☹️ Gemäss schweizerischem Arbeitszeitgesetz müsse der Übergang zwischen zwei Schichten „nur“ im Durchschnitt über vier Wochen 12 Stunden betragen😲 Immerhin hatte ich herausgefunden, wie ich meinen Rhythmus recht einfach auf Nachtschichten einstellen konnte: Vorher länger wach bleiben. Das ging wesentlich leichter als früher ins Bett zu gehen.

Eine der weniger beliebten Schichten führte in die Ostschweiz, nach Gossau kurz vor St. Gallen. Unbeliebt deshalb, weil es nicht nur eine Nachtschicht war (1.00 Uhr bis 10.48 Uhr), sondern auch, weil man dort Pause von 3.30 Uhr bis 6.30 Uhr hatte. Einen Aufenthaltsraum gab es nicht, jedenfalls nicht für uns, also blieb man auf dem Führerstand. Manche Kollegen schauten auf dem Tablet Netflix, andere dösten. Dabei hatte man die Qual der Wahl: Entweder die Lok abrüsten, seine Ruhe haben und frieren. Oder sie aufgerüstet lassen, jedes Mal aufschrecken, wenn der Kompressor ansprang, und es dafür wohlig warm haben. Ich nahm jeweils eine Decke und Polster mit, die ich auf den Fussboden legte, und steckte mir Ohropax in die Ohren. Die Schicht hatte auch Vorteile:

  • Die Pause galt als Arbeitszeit. Das hiess, man verdiente sein Geld teilweise im Schlaf😉
  • Für Nachtschichten gab es Zulagen.
  • Man bekam auch noch Erholungstage, an denen man frei hatte.
  • Nachts waren weniger Züge unterwegs, das hiess, man hatte fast immer grüne Welle.
  • Im Dunkeln sah man die Signale besser.
Auch Nachtschichten hatten ihren Reiz.

Das Fahren von Güterzügen war viel entspannter als im Personenverkehr. Man bekam von der Betriebszentrale häufig eine automatische ADL-Mitteilung (adaptive Lenkung), z.B. „65 km/h bis Sargans“. Dann schaltete man den Tempomaten ein (sofern vorhanden), hatte grüne Welle und musste sich nicht mehr um Strecken- und Bahnhofsgeschwindigkeiten kümmern. Beim Fahren brauchte man sich nicht abhetzen und nicht an jedem Haltepunkt anhalten. Man fuhr die zulässige Streckengeschwindigkeit selten aus. Zeigte ein Vorsignal „Warnung“, bremste man für das Halt zeigende Signal bereits sehr früh und sehr stark und rollte dann langsam darauf zu. Bei freier Fahrt konnte man auch mal 30 Minuten vor Plan ankommen. Wenn einem dann bei der Ankunft die Rangierer den Zug abnahmen, konnte man schon mal eine Stunde früher Feierabend machen😎

Die ADL-Empfehlung für die grüne Welle war 60 km/h. Ich war aber auf 40 km/h überwacht. Wäre ich schneller gefahren, hätte ich eine Zwangsbremsung kassiert. Bei der Eisenbahn weiss die Linke manchmal nicht, was die Rechte tut.

Der rasende Rangierer

Anders als im Personenverkehr hatte ein Cargo-Lokführer zahlreiche Hilfstätigkeiten. Viele railCare-Züge mussten von Hunzenschwil nach Wangen oder umgekehrt. Weil es keine direkte Strecke gab, musste man in Dottikon oder in Wohlen anhalten, unter den Puffern durchkriechen, die Lok abhängen, den Zug umfahren, sie am anderen Ende wieder ankuppeln, den Zug ablaufen für die Bremsprobe, die neue Zugnummer eingeben, die Fahrordnung laden und sich beim Fahrdienst abfahrbereit melden. Eine zusätzliche Kurve zwischen Rupperswil und Hunzenschwil an Lenzburg vorbei, so wie die „Kriegskurve“ in Aarburg, hätte das Problem sehr viel eleganter gelöst.

In Gwatt hatten wir keine Rangierer. Dort musste der Lokführer die technische Abfahrtkontrolle machen, d.h. prüfen, ob alle Container richtig verriegelt und verschlossen und alle Wagen richtig gekuppelt waren und hinten die Zugschlusstafeln steckten. Die Bremsprobe war ohnehin selbstverständlich. In Brig gab es zwar Rangierer und einen technischen Kontrolleur, und die Bremsprobe wäre im Preis inbegriffen gewesen, stand aber aber aus unerfindlichen Gründen trotzdem auf dem Dienstplan des Lokführers.

Überhaupt war man bei railCare gefühlt die halbe Zeit am Rangieren. Der Unterschied zur Zugfahrt? Rangieren machte man normalerweise nur im Bahnhof. Man brauchte keine Zugnummer und keine Fahrordnung. Es galten nicht die Vor- und Hauptsignale an der Strecke, sondern die Zwergsignale, sofern vorhanden (siehe unten). Die Höchstgeschwindigkeit betrug in der Regel 30 km/h, in Ausnahmefällen 40 km/h, weil man stets auf Sicht fuhr. (Bei der SBB rangieren Streckenlokführer selten bis nie.)

Häufig hatte man einen Rangierleiter. Das waren normalerweise die örtlichen Rangierer, entweder von railCare selbst oder eingemietete Kollegen. Obwohl wir als Lokführer höher qualifiziert waren, waren sie uns gegenüber in dieser Situation weisungsbefugt. Anders als wir wussten sie, welcher Wagen wohin musste. Rangieren machte man vor- und rückwärts. Im letzteren Fall stand der Rangierer auf der Plattform des letzten Wagens und gab die Geschwindigkeit und die Zielentfernung durch. Normalerweise über Handfunkgeräte. Gleichzeitig musste man Fahr- und Bremshebel bedienen. Talent als Jongleur konnte dabei nicht schaden😉 Manchmal musste man gleichzeitig Gas geben und bremsen. Warum? Damit die Lok nicht zurückprallte, wenn man an die Puffer eines Wagenzugs anfuhr. Die Qualität der Sprechfunkverbindung liess manchmal zu wünschen übrig. So sehr, dass einmal das „Anhalten“ im Rauschen untergegangen war und ich beinahe das Tor der Halle in Pratteln eingedrückt hätte😲

Die Geisterlok hatte nicht einmal einen Lokführer😲

Allerdings kam es auch häufig vor, dass der Lokführer allein rangieren musste. Auch rückwärts. Mit der Vectron theoretisch kein Problem: Sie hatte dafür eine Funkfernsteuerung („Bauchladen“), mit der der Lokführer von der Plattform des hintersten Wagens die Lok steuern konnte. Zumindest solange die Fernsteuerung funktionierte und die Batterien geladen waren. Ich hatte sie in Gossau extra früh in Betrieb genommen, damit ich auch mit Sicherheit bereit war, wenn das Signal aufging. Zu früh, wie sich zeigen sollte. Ich musste 20 Minuten warten. Es hätte beinahe geklappt: Ich war nur noch fünf Meter von den Wagen entfernt, die ich ankuppeln sollte, als die Batterie der Fernsteuerung leer war. Die Lok machte eine Zwangsbremsung, schaltete den Hauptschalter aus und senkte den Stromabnehmer. Ich musste sie wieder von Anfang an aufrüsten. Als ich soweit war, wollte ich die Ersatzbatterie in die Fernsteuerung einlegen, als mir die Rangierer sagten, dass ich die letzten fünf Meter auch blind an die Wagen anfahren könne. Das tat ich dann auch, und ich kam gerade noch pünktlich weg. Einer unserer Rangierer war auch schon mit leerer Batterie auf offener Strecke liegengeblieben☹️

Die Funkfernsteuerung war mühsam. Vor allem bei Dunkelheit und -5°C❄️

Und dann gab es noch die Gleise ohne oder mit ausgeschaltetem Fahrdraht. Auch dort mussten wir rangieren. Wie das mit einer E-Lok? Unsere Vectrons hatten ein zusätzliches Dieselmodul. Das nannte sich „Last Mile Diesel“ und hatte gerade mal 180 kW, also kaum mehr als einige heutige PKW’s. Es war dafür gedacht, um die Lok auf ein nicht elektrifiziertes Abstellgleis zu fahren, aber nicht um hunderte Tonnen schwere Güterzüge zu bewegen, geschweige denn bergauf. Bei Minustemperaturen konnte es schon mal Startschwierigkeiten haben.

Besser nicht im stromlosen Abschnitt liegenbleiben😉

Pleiten, Pech und Pannen

Bei Güterzügen konnte noch mehr schiefgehen als beim Personenverkehr. Ein Kollege hatte bei der Abfahrt drei Wagen vergessen😲 Ein anderer hatte dafür irrtümlich zwei fremde Wagen mitgenommen. Die gehörten ausgerechnet dem Erzkonkurrenten Migros😲 Bis die Rangierer diese „Kuckuckseier“ herausgeholt hatten, war schnell eine Stunde vorbei, die man dann verspätet abfuhr. Einmal war ich pünktlich bereit und musste abfahren, obwohl noch ein Container fehlte. Den durfte der LKW dann direkt an seinen Bestimmungsort bringen.

In Brig mussten wir den Zug ablaufen, die Wagennummern notieren und die Reihung der Leitstelle durchgeben. Ein Wagen hatte keine Nummer😲 Ich ging um den ganzen Zug herum und sah auf der anderen Seite nach. Da stand sie dann. Aber was für eine Nummer! Es war die gleiche, die bereits der Wagen davor hatte😲 Weil jede Nummer eindeutig sein musste, konnte das nicht sein. Des Rätsels Lösung: Es handelte sich um einen Doppelwagen. Der bestand aus zwei einzelnen, nur dass deren Kupplungen verplombt und die Puffer gelb lackiert waren. Wenn man nicht darauf achtete, zählte man ihn doppelt, und schon war es passiert. Diese Wagen waren uralt und durften höchstens 100 km/h schnell fahren. railCare hatte sie vermutlich günstig auf die Schnelle in Duisburg besorgt und damit zumindest kurzfristig vor der Verschrottung gerettet, weil man vergessen hatte, die Mietverträge für die bisherigen Wagen mit der SBB zu verlängern😃

Ein Rangierer hatte einmal vergessen, einen Hemmschuh wegzunehmen. Damit sicherte man abgestellte Wagen gegen Wegrollen. Der abfahrende Zug zog ihn bis zur nächsten Weiche mit, wo er sich verkeilte und diese beschädigte. Der betreffende Wagen entgleiste, der Zug fiel aus, und der Kranwagen musste anrücken😲

Dann fiel der Stufenschalter unseres Oldtimers aus. 3 km nach der Abfahrt. Es wäre eine Kleinigkeit gewesen, den Zug mit der Rangierlok nach Hunzenschwil zurückzuholen, dauerte aber eine Stunde, weil die Leitstelle zuerst noch eine Krisensitzung anberaumen musste. In dieser Zeit war die Strecke blockiert. (Ich hätte zu gern gewusst, wer für den Schaden aufkam: railCare als Betreiberin oder die SBB als Besitzerin?) Der Zug fuhr dann mit einer Ersatzlok los. Die Lok für unseren Zug hatte drei Stunden Verspätung. Weil wir nicht so lange warten konnten und die Ersatzlok weg war, musste ich mit der Rangierlok durch die halbe Schweiz rattern. Sie hatte nur eine rudimentäre Zugsicherung, das heisst, ich musste wie ein Luchs auf die Signale achten.

Eine solche Fahrt muss ich nicht noch einmal machen☹️

Natürlich galt bei der Eisenbahn (wie auf einem Kreuzfahrtschiff) „safety first“. Deswegen gab es jede Menge Vorschriften. Aber nicht jeder hielt sich daran. Da waren Kollegen, die ohne Helm kuppelten oder während der Fahrt auf dem privaten Handy telefonierten, chatteten oder Radio hörten. Ein Rangierer ohne Schulung für die Lok war mit 18 km/h statt mit den zulässigen 5 km/h in unser Verteilzentrum in Hunzenschwil eingefahren. Dort stand auch noch ein Container zu nahe am Gleis. Ein Kollege trat gerade heraus und war abgelenkt. Der Zug erfasste ihn und verletzte ihn schwer😲

Dagegen war das mit der Tür beinahe harmlos: Bei einem Unterwegshalt vor einem roten Signal in Pfäffikon hatte ich die Tür der Bo’Bo‘ geöffnet, um besseren WLAN-Empfang zu haben. Als das Signal auf grün sprang, schloss ich sie zwar, aber einige Kilometer weiter bei Bilten ging sie bei voller Fahrt von selbst wieder auf. Dummerweise war sie rechts, der Fahrersitz aber links, so dass ich sie während der Fahrt nicht wieder zukriegte, sondern erst in Ziegelbrücke, wo ich ohnehin auf 65 km/h abbremsen musste und nach vorgängiger Information an den Fahrdienstleiter einen kurzen Halt am Bahnsteig einlegte.

Kurz nach dem Beginn meiner Cargo-Karriere fuhr ich einen Lokzug nach Gwatt. So eine allein fahrende Lok war wie ein Rennwagen. Nicht von der Höchstgeschwindigkeit her (140 km/h), aber von der Beschleunigung😉 Dort angekommen schaute ich vorsichtshalber, ob über dem Abstellgleis, wo meine Wagen standen, eine Oberleitung hing: positiv. Deshalb staunte ich nicht schlecht, als es einen hellen Blitz und einen lauten Knall gab, als ich hineinfuhr😨 Vier Soldaten aus einer nahegelegenen Kaserne kamen mitsamt ihren Gewehren eilends herbeigelaufen, weil sie dachte, die Lok sei explodiert🤣 Die Oberleitung war ausgeschaltet und geerdet, und ich hatte einen Kurzschluss fabriziert! Bei 15000 Volt blitzte es halt ein bisschen mehr als bei läppischen 230 Volt😉 Der Knall kam vom Hauptschalter, der herausfiel, weil er gleichzeitig als Sicherung diente. Meine Kollegen fanden hinterher, ich hätte grosses Glück gehabt, dass ich den Stromabnehmer wieder hätte heben können und dass nicht im ganzen Bahnhof der Strom ausgefallen sei, was den gesamten Zugverkehr auf der Lötschberg-Linie (einer Hauptstrecke) unterbrochen hätte. Es war ja nicht so, dass man die Oberleitung nicht hätte einschalten können. Aber das setzte den Kurs „Schalten und Erden“ voraus, der mehrere Tage dauerte, weil er Erste Hilfe einschloss, und railCare konnte es sich wegen Personalmangels nicht leisten, die zu schulenden Lokführer so lange zu entbehren.

Ein Kollege, der die Firma wenig später verliess, hatte es am selben Ort geschafft, die elektrische Handweiche umzustellen, während er mit der Funkfernsteuerung am Rangieren war😲 Da fuhr einer der Wagen plötzlich zweigleisig😉 Er riss zwei Kupplungen heraus und verschob das Gleis. Eine Woche lang musste die Stelle umfahren werden.

Eines Montags früh hatte ich Reserve, die wir zu Hause verbringen konnten, sofern wir im Falle eines Anrufs innerhalb von 30 Minuten am Dienstort waren. Ich freute mich bereits auf das bezahlte Ausspannen, aber zu früh: Ich sollte eine Lok von Hunzenschwil nach Wangen fahren. Das allein wäre ja nicht sonderlich erwähnenswert, aber der Grund: Als ich tags zuvor meinen Zug in Wangen geholt hatte, hatte ich mich gewundert, dass dahinter zwei nicht gekuppelte Wagen standen, mir aber nichts dabei gedacht. Die beiden Wagen sollten nicht dort stehen, sondern waren selbstständig das Gefälle hinabgerollt, weil irgend jemand sie nicht richtig gesichert hatte. Dabei hatten sie eine Weiche aufgefahren. Die musste jetzt erst überprüft und gegebenenfalls repariert werden. Die Lok für den Zug nach Brig stand hinter der Weiche und durfte sie nicht überfahren. Deshalb musste ich die andere bringen. Der Zug fuhr dann mit anderthalb Stunden Verspätung ab. Bis dann war auch die Weiche repariert, und ich konnte mit der ursprünglich vorgesehenen Lok wieder zurücksausen.

Und dann die Geschichte mit der Bremse. Ich hatte Nachtschicht und fuhr einen 1.189 t schweren und 497 m langen Zug, der bereits in Wangen eine Abgangsverspätung von 27 Minuten hatte. Weil die Strecke Richtung Oesingen leicht ansteigt und die Schienen nass waren, brauchte ich 10 km, um auf 100 km/h zu kommen. Gegen 3.30 Uhr, ich war endlich in voller Fahrt, klingelte mein Diensthandy: Die Leitstelle informierte mich, dass an einem meiner Wagen eine Bremse ausgeschaltet sei. Das machte man, wenn sie gestört war. Ob ich davon wüsste? Nein. Auf meinem Bremszettel war nichts vermerkt. Also den Fahrdienst angerufen, in Oensingen angehalten und jede einzelne Bremse kontrolliert. Es waren alle in Ordnung. Nun hatte ich 54 Minuten Verspätung. Es war der Zug eines Kollegen gewesen, der wenig später ein Bild von einer Bremse ohne Bremsklotz in unsere WhatsApp-Gruppe stellte mit der Frage, wie man mit einem solchen Wagen herumfahren könne😲

Warum erinnerte mich das an die Deutsche Bahn?😉

Ein anderes Mal sollte ich mit meinem Zug wegen Bauarbeiten die Umleitungsstrecke über Brugg nach Zürich fahren. Unterwegs rief die Betriebszentrale an, um mich zu fragen, ob ich auch die gewöhnliche Strecke durch den Heitersbergtunnel fahren könne. Klar konnte ich. Allerdings hatte ich nur eine Fahrordnung für die ursprünglich vorgesehene Umleitungsstrecke. In solchen Fällen fuhr man nach der Streckentabelle. Die war normalerweise auf unseren Tablets hinterlegt. Ich suchte und suchte, fand sie aber nicht😲 Und weil ich abgelenkt war, vergass ich, dass ich trotz einer Geschwindigkeit von gerade mal 40 km/h eine angekündigte „Verringerung“ auf 140 km/h quittieren musste. Wusch, Zwangsbremsung. Und immer noch keine Streckentabelle☹️ Bis ich auf die Idee kam, auf meinem privaten Smartphone nachzuschauen. Und siehe da, da war noch eine alte gespeichert, die ich verwenden konnte. Uff. Hinterher kam heraus, dass der Ordner mit den Streckentabellen irrtümlich vom Server gelöscht worden war. Wenig später war er wieder da.

Bei meiner letzten Schicht, als ich nach dem Vorfall von Olten Hammer ohnehin bereits zerknirscht war (siehe unten), fuhr ich vor Oensingen auf offener Strecke auf ein rotes Signal zu. Aus Erfahrung vorsichtig geworden, bremste ich frühzeitig. Das war ein Fehler. Denn genau in meinem Bremsweg lag eine so genannte Schutzstrecke. Das war ein stromloser Abschnitt der Oberleitung. Natürlich kam ich genau darunter zum Stehen☹️ Und da stand ich noch lange, nachdem das Signal wieder grün war. Zunächst produzierte die Lok eine Fehlermeldung, die ich – wie beim PC – nur wegbekam, indem ich sie ganz tot machte und wieder neu aufrüstete. Glücklicherweise war ich mit der Vectron unterwegs und konnte den Dieselmotor starten. Der war allerdings für 784 Tonnen viel zu schwach, vor allem in einer Steigung von 6%o. Ich kam auf ganze 2 km/h. Immerhin konnte ich damit aus dem stromlosen Abschnitt kriechen und die Lok danach wieder auf elektrischen Betrieb umschalten.

Die Königsdisziplin

Zwei unserer Touren führten nach Brig im Wallis. Meistens fuhren wir durch den 35 km langen Lötschberg-Basistunnel. Das war zwar langweiliger, aber schneller und vor allem viel einfacher. Die Bergstrecke war wesentlich schöner, aber erheblich anspruchsvoller. Die grösste Steigung betrug 28%o und war nur für Züge bis 700 t zugelassen. Ein Kollege merkte erst, dass sein Zug zu schwer war, als er bereits über den Berg war. Oben drüber zu fahren war wie Achterbahn und Geisterbahn in einem. Und zwar für Erwachsene😲

•             Kurz hinter Frutigen musste man sich während der Fahrt nach einer Tafel innerhalb von 100 m (was bei 70 km/h sehr kurz war) mit dem Zugfunk bei einer automatisierten Rufnummer des Fahrdienstes als SIM-Zug anmelden. Tat man es nicht, stand man vor dem nächsten Signal. Und das war dann nicht rot, sondern violett, weil es nur für SIM-Züge galt. SIM steht für „Simplon Inter-Modal“. Ursprünglich waren das nur Züge, die LKW’s beförderten, die sogenannte „rollende Landstrasse“. Allerdings waren auch unsere Container 4 m hoch, und selbst wenn wir gar keine Containerwagen mitführten, galten wir aufgrund der Zugnummer als SIM-Zug.

•             Der Grund war die sogenannte „Slalomfahrt“. Aus Kostengründen war nur ein Gleis der Bergstrecke für 4 m hohe Wagen ausgebaut, und das war je nach dem mal das linke, mal das rechte. Deshalb wechselte man ständig hin und her.

•             Schon auf trockenen Schienen musste sich die Lok, so stark sie auch war, bergauf mächtig ins Zeug legen. Aber bei nassen Schienen musste sie sich richtig abmühen. Dann waren 45 km/h schon schnell.

•             Bergab war es nicht etwa einfacher. War der Zug zu schwer für die elektrische Bremse, musste man die pneumatische nach der sogenannten „Sägezahnmethode“ bedienen. Das hiess 60 Sekunden bremsen und 90 Sekunden gelöst lassen. Tat man es nicht, erschöpften sich irgendwann die Bremsen, so dass der Zug nicht mehr bremste.

•             Vor lauter Kurven und Tunnels sah man die Signale erst, wenn man kurz davor war. Vor allem bei Nebel😲

•             Dann gab es noch unser beliebtes „Eisenbahnfernsehen“: Vor jedem Tunnel musste man den Zug mit den Aussenkameras beobachten, ob er brannte oder rauchte. Natürlich gleichzeitig die Signale und die Geschwindigkeiten beachten.

Auf meiner ersten Alleinfahrt über die Lötschberg-Bergstrecke von Nord nach Süd. Der Fahrdienstleiter rief an um zu fragen, ob in den Tunnels noch Eiszapfen herunterhingen, oder ob der Zug vor mir schon alle abgeräumt hatte😉

Auf der Rückfahrt von Brig zusammen mit meinem Kollegen erhielt ich schon ein paar Kilometer nach der Abfahrt in Ausserberg ein grün-oranges Vorsignal (Fahrbegriff 2). Das bedeutete normalerweise, dass man ab dem ebenfalls grün-orangen Hauptsignal nur noch 40 km/h fahren durfte. Zufällig fiel mein Blick auf meine Fahrordnung: Darin stand eine örtliche Besonderheit, nämlich dass man in dem betreffenden Bahnhof in diesem Fall sogar mit höchstens 20 km/h und auf Sicht fahren musste, weil die Reisenden dort die Gleise überqueren könnten. Allerdings war kein Mensch weit und breit.

•             Wenig später sogar ein rotes Signal, was bergauf höchst ärgerlich war. Der Grund: Der Fahrdienstleiter diktierte mir einen schriftlichen Befehl. Das geschah normalerweise so nah wie möglich an der betreffenden Stelle. Meiner galt aber erst 30 km weiter😲 Dort musste ich 500 m lang auf Sicht fahren. Grund: Tiere im Gleisbereich. Ich sah aber keine. Und die Stelle war für Tiere ohne Flügel auch nur sehr schwer zugänglich.

•             Das Einfahrsignal von Spiez, das sich in einem Tunnel befand, war rot. Als ich schon fast stand, wies mich der Kollege auf den darunter leuchtenden schrägen orangen Strich hin: Es war ein Hilfssignal, das mir die Weiterfahrt auf Sicht mit höchstens 40 km/h erlaubte. Am Tunnelausgang hatte ich 20 km/h drauf. Er meinte, das sei immer noch zu schnell gewesen, weil ich nicht mehr hätte bremsen können, wenn ein Selbstmörder vor dem Tunnelportal die Gleise überquert hätte😲

Inzwischen hatten wir anderthalb Stunden Verspätung. Erst jetzt kam heraus, dass mein Kollege die drei letztgenannten Punkte allesamt beim Fahrdienstleiter bestellt hatte😲 Deshalb hatte er sich vor der Abfahrt nicht wie sonst über den Zugfunk, sondern von seinem Handy aus fahrbereit gemeldet, als er nicht auf der Lok war, damit ich nicht mithören konnte. Diese Zugfahrt werde ich so schnell nicht vergessen😉

Blick von der Lötschberg-Südrampe auf das Wallis.

Eine Bahnfahrt, die ist lustig…

Bei der Deutschen Bahn verging kaum eine Woche ohne schriftlichen Befehl vom Fahrdienstleiter. In der Schweiz dauerte es bis zu meinem ersten fast drei Monate. Und dann gleich noch auf Französisch: Fahrt auf Sicht wegen Polizeieinsatz am Gleis. Er war kaum fertig mit Diktieren, da war der Befehl auch bereits wieder aufgehoben😃 Als ich bei der Stelle vorbeikam, standen da tatsächlich einige Uniformierte, aber ein Stück vom Gleis entfernt, und wegen der Dunkelheit konnte ich nicht mehr erkennen.

Bei meiner nächsten Reserve sollte ich einen Zug von Hunzenschwil nach Wangen fahren. Weil es dafür keine direkte Strecke gab, mussten wir unterwegs die Last abhängen, mit der Lok umfahren, am anderen Ende wieder ankuppeln, die Bremsen prüfen, und konnten erst dann losfahren. Damit es schneller ging, war meine Lok bereits am Zugschluss angekuppelt, und die Rangierer zogen mich die 4 km bis Lenzburg, wo sie die Rangierlok abhängten, damit ich gleich in der anderen Richtung losfahren konnte. Ich war schon abfahrbereit, als zwei Gleise weiter ein Kollege mit einer einzelnen Lok anrollte. Er öffnete auch sogleich die Führerstandstür und rief herüber, ob wir tauschen wollten? Sein Auto stand in Wangen und meines in Hunzenschwil, so dass uns beiden damit gedient war und ich nur die 4 km mit der Lok zurückfahren musste. Eine Stunde gearbeitet, aber sieben Stunden bezahlt😎

Ostern hatte ich frei. Am Dienstag danach sollte ich von 1.00 Uhr bis 9.20 Uhr eine Nachtschicht fahren. Glücklicherweise hatte ich mein Diensthandy bereits einige Stunden zuvor eingeschaltet, denn was durfte ich da erfahren? Meine Züge fuhren wegen des vorangegangenen Feiertags nicht, so dass ich zu Hause bleiben konnte. Natürlich ebenfalls bei voller Bezahlung😎

Ein grosser Vorteil von railCare war es, dass man nach vorhergehender Anmeldung Begleitpersonen im Führerstand mitnehmen durfte. Das war keine reine Menschenfreundlichkeit, sondern erstens wusste die Firma so, wenn jemand dabei war. Zweitens war der Mitfahrer dann versichert. Und drittens konnte es so keine bösen Überraschungen geben, wenn das Bundesamt für Verkehr (BAV) eine Kontrolle durchführte. Als meine Freundin neben mir sass, bekam sie für ihr Geld etwas geboten: Beim ersten Mal einen schriftlichen Befehl zur Fahrt auf Sicht. Der Grund war eine Kuh in Gleisnähe. Da waren sogar gleich drei Rindviecher, zwei davon putzige schottische Hochlandrinder, und ein halbes Dutzend Möchtegern-Cowboys in Feuerwehr- und Polizeiuniformen, um sie einzufangen😂 Auch beim zweiten Mal war Action angesagt: Wir fuhren mit dem Oldtimer ins Bündnerland. Im Bahnhof Chur fuhr ich mit der Lok ohne Wagen vorwärts und bremste elektrisch. Und was machte der olle Göppel? Beschleunigte mit voller Kraft rückwärts, obwohl ich den Vorwärtsgang drinhatte😲

Die Hotel-Affäre

Nein, hier geht es nicht um eine heimliche Liebschaft😉 Sondern ebenfalls um railCare. Auf unserer Übernachtungstour schliefen wir normalerweise im ****-Hotel Ambassador in Brig im Kanton Wallis. Über dieses hatte ich wie so oft auf Google Maps eine Bewertung abgegeben: https://goo.gl/maps/9u6cQvrsnjPb82P19. Ursprünglich hatte ich drei Sterne vergeben, aber nach der aus meiner Sicht uneinsichtigen Reaktion des Hotels noch einen abgezogen und den Nachtrag verfasst. (Mit seiner Einstellung zur Gastfreundschaft wäre das Hotelpersonal auf einem Kreuzfahrtschiff nicht weit gekommen. Nämlich genau bis zum nächsten Hafen😉) In der ersten Version hatte ich geschrieben, dass ich geschäftlich als Eisenbahner dort war, aber natürlich ohne den Namen railCare zu nennen. Der war allerdings für das Hotel nicht schwer zu erraten, und der offenbar zu Wutausbrüchen neigende Hotelchef beschwerte sich bei einem Kollegen, dass einer von uns das Hotel schlechtmachen würde. Ich gab in der E-Mail-Gruppe unserer Lokführer ganz offen zu, dass die Bewertung von mir sei. Daraufhin entbrannte eine lebhafte Diskussion: Manche befürchteten, jetzt könne der Hotelchef uns (noch) schlechter behandeln oder den Vertrag ganz kündigen. Keine Ahnung, wie sie darauf kamen. Wenn er schon so dünnhäutig auf meine Bewertung reagierte, würde er bestimmt nicht die Gans schlachten, die goldene Eier legte. Und das tat sie selbst während der Corona-Pandemie an sechs Tagen pro Woche. Andere Kollegen waren denn auch ganz meiner Meinung. Zumal es in Brig zig Hotels gab, von denen wohl fast jedes für uns den roten Teppich ausgerollt hätte.

Kann ein Getränkeautomat gastfreundlicher sein als ein Hotel? Dieser hier gehörte der Brauerei Heineken, einem railCare-Kunden in Felsberg. Für uns Lokführer, ebenso wie für die LKW-Fahrer beider Firmen, waren die Getränke kostenlos. Das Highlight der Felsberg-Tour😎 Das nenne ich Goodwill, von dem sich das Hotel Ambassador in Brig eine Scheibe abschneiden könnte.

Statt meine wohlbegründete Kritik zum Anlass für Verbesserungen zu nehmen, machte das Hotel nun auch noch direkt Druck auf railCare. (Eigentlich hätte ich dafür gleich noch einen Stern abziehen sollen.) Denn zu meiner Überraschung verlangte mein ansonsten netter Teamleiter allen Ernstes von mir, diese Online-Bewertung zu löschen😲 Und das, obwohl er meine Bewertung nach eigener Aussage zu grossen Teilen nachvollziehen konnte. Zuerst versuchte er es per WhatsApp, dann in einer Sitzung samt Protokoll. Nun, sie ist immer noch drin. Ich habe nur herausgenommen, dass ich geschäftlich dort war. Für mich ist die Freiheit der Meinungsäusserung ein höheres Rechtsgut als die geschäftlichen Interessen eines externen Dienstleisters, der noch nicht einmal zur Coop-Gruppe gehörte. Von meinem Arbeitgeber erwartete ich eigentlich, dass er sich Dritten gegenüber auf die Seite seiner Mitarbeiter stellte und ihnen den Rücken stärkte. Stattdesen bezeichnete mein Teamleiter mich als „Dickkopf“. Das nahm ich als Kompliment😉 Als ich mir ausdrücklich vorbehielt, auch weitere Hotels, Firmen, Lieferanten und Dienstleister zu bewerten, war er sprachlos. Ich fragte mich, was ich von einer Firma halten sollte, die ihren Mitarbeitern einen Maulkorb verpassen wollte. Als ich meinen Teamleiter darauf hinwies, dass ein anderer Kollege bereits drei Jahre zuvor nicht nur das „Ambassador“, sondern auch unser Ausweichhotel, das „Victoria“, mit jeweils nur zwei Sternen bewertet hatte, war er noch sprachloser😃

Ungeplanter Stillstand

Die Eisenbahn gilt auch deshalb als das sicherste Verkehrsmittel, weil alles Mögliche überwacht wird. Das nennt man „Zugsicherung“. In der Schweiz wird dafür (ausser ETCS auf einigen wenigen Strecken) vor allem ZUB verwendet. Das steht für „Zugbeeinflussung“. Ist man zu schnell unterwegs, bremst man zu spät oder zu schwach, oder quittiert man ein orangefarbenes Signal nicht, kennt sie keine Gnade: Man bekommt eine Zwangsbremsung. Und zwar bis zum Stillstand. Anders als bei der Deutschen Bahn musste man bei railCare jedes Mal eine „Meldung aus dem Betrieb“ schreiben. Das war zwar peinlich, aber ich dachte mir nichts dabei, sondern tat es jedesmal pflichtschuldigst. Meine Kollegen waren schlauer (siehe unten)😉

Ein Fall war besonders hinterhältig: Ich fuhr mit dem besten Gewissen die zulässigen 120 km/h auf unserer Ausweichstrecke Richtung Bern. Ich war sie zuvor kaum gefahren, weil wir normalerweise auf der ETCS-Neubaustrecke Rothrist-Mattstetten verkehrten. Draussen war es dunkel. Die Zwangsbremsung kam wie der Blitz aus heiterem Himmel. Der Fahrdienstleiter hatte mich statt durch den Grauholztunnel zu schicken ohne Benachrichtigung auf die Umfahrungsstrecke umgeleitet, wo nur 85 km/h erlaubt waren, was ich erst sah, als ich in Schönbühl stand. Das schien offiziell erlaubt zu sein und bedeutete im Klartext, dass der Lokführer auch bei Nacht und Nebel ständig aufpassen musste, ob der Fahrdienstleiter, für den es ein Klacks wäre, den Lokführer kurz anzurufen, ihm nicht einen Streich spielte☹️ Dass Hektometertafeln in der Schweiz so klein sind, dass man sie ab 80 km/h kaum noch erkennt, und zudem meistens rechts (also dem Gegengleis) stehen, erleichterte die Sache auch nicht. Die Ironie der Geschichte lag darin, dass der Fahrdientleiter gedacht hatte, ich sei durch die Umleitung schneller. Dabei hätte ich ihn sowieso anrufen und anhalten müssen, um die Fahrordnung für die neue Strecke zu laden. railCare verwendete nur das „altmodische“ LEAprint, bei dem die Fahrordnung im PDF-Format auf dem Tablet angezeigt wurde, und nicht LEA wie die SBB. Dort brauchte man nur auf den Bildschirm zu tippen, und wusch, hatte man die neue Fahrordnung vor sich. Man stände zwar in Verhandlungen, aber LEA war für iPad entwickelt worden und konnte offenbar nicht ohne Weiteres auf Android portiert werden. Und schliesslich wollte die SBB an dem Deal auch noch verdienen, und vermutlich nicht zu knapp.

Ein anderes Mal zog ich die maximal zulässigen 700 t von Brig über die alte Lötschberg-Bergstrecke nach Norden. Das Einfahrt-Vorsignal für Goppenstein zeigte Fahrbegriff 3. Das bedeutete normalerweise, dass man beim Hauptsignal höchstens 60 km/h schnell sein durfte. Für diesen Bahnhof galten jedoch abweichende örtliche Vorschriften, die ich zunächst zwar nicht gesehen hatte, aber da es bergauf ging, bremste der Zug stärker als erwartet, so dass ich mit den erlaubten 50 km/h einfuhr. Trotzdem Zwangsbremsung. Grund unbekannt. Ich musste bei meinem Teamleiter antraben, der mir nicht glaubte, dass ich langsam genug gefahren war, die Fälle besprechen und ein Protokoll unterschreiben.

Der Anfang vom Ende

Meinen ersten grösseren Bock schoss ich in Dottikon. Ich hängte die Wagen ab und wollte den Wagenzug mit der Lok über das Streckengleis umfahren. Dabei war ich eine Rangierbewegung, keine Zugfahrt, so dass die grün-gelb-roten Zugsignale für mich nicht massgeblich waren, sondern die weissen Zwergsignale. Dummerweise kam keines. Auch keine Bahnhofsendtafel oder Rangierhalttafel. Erst als der leicht panisch klingende Fahrdienstleiter anrief, merkte ich, dass ich zu weit gefahren war. Ich hielt natürlich sofort an, wechselte den Führerstand und fuhr zurück. Jetzt rief auch noch die Leitstelle an: Ob ich einen Signalfall gehabt hätte? Nicht dass ich wüsste. Ob ich fit für die Weiterfahrt sei? Ich dachte, er bezog das auf meine vorangegangenen Nachtschichten, aber die Kollegen klärten mich hinterher auf, dass man nach einem Signalfall normalerweise unter Schock stände. Jedenfalls war ich fit. Mein Fehler war es gewesen, dass ich die Rangiergrenze zwischen dem Bahnhof und der offenen Strecke überfahren hatte. Diese hatte an der Rückseite des Einfahrsignals der Gegenrichtung gelegen, das bei Dunkelheit nicht besonders gut erkennbar war. Die Folge davon war, dass ich eine Befragung über mich ergehen lassen musste. Durch meinen Teamleiter. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass mein vermeintlicher Teamleiter gar nicht mein Teamleiter war😉 Und er erfuhr es durch mich😉

Der Genfersee mit dem waadtländischen Weinbaugebiet La Côte kurz vor Lausanne. Im Hintergrund links Frankreich.

Sechs Wochen später der gleiche Fehler, allerdings ganz woanders, nämlich in Bussigny, also in der französischen Schweiz. Die Sprache war nicht das Problem, sondern der Wochentag. Unter der Woche fuhren wir eine grosse Schleife durch den Rangierbahnhof von Lausanne. Samstags war dieser aber geschlossen, so dass wir in Bussigny wenden mussten. Ich war diese Schicht nur ein einziges Mal mitgefahren, und das war Monate zuvor gewesen. Deshalb war ich mit Halteort, Weichen und Signalen nicht wirklich vertraut. Und die Bahnhofsgrenze war wie so oft nicht gekennzeichnet. Gleiches Prozedere wir beim ersten Mal, nur mit dem Unterschied, dass der wesentlich entspanntere Fahrdienstleiter meinte: „Ce n’est pas grave.“ („Das ist nicht schlimm.“) Meine Firma war anderer Ansicht. Diesmal reichte eine Befragung nicht mehr, sondern einer meiner Ausbilder kam zu einer Überprüfungsfahrt auf der betreffenden Tour mit. Unnötig zu sagen, dass dabei alles klappte. Das war nicht anders zu erwarten gewesen. Der Grund war nämlich ein ganz anderer: railCare wollte gegenüber dem Bundesamt für Verkehr, der Aufsichtsbehörde, dokumentieren, dass man bei Fehlern Massnahmen ergriff. Ob geeignete oder nicht, war demgegenüber zweitrangig.

Meinen nächsten Fehler hielt ich gar nicht für einen, railCare aber schon. Ich sollte mit der Vectron im Dieselbetrieb unseren abgestellten Oldtimer aus dem „Oben-ohne“-Abstellgleis in den Bahnhof Hunzenschwil ziehen. Nach dem Ankuppeln lautete der Befehl des Rangierleiters „Bewegen, um das Zwergsignal abzudecken“. Keine Richtungsangabe. Ich dachte, er meinte das Zwergsignal im Bahnhof, und fuhr rückwärts los. Er wollte aber, dass ich vorwärts Richtung Prellbock fuhr, bis das Ende meiner Lok hinter dem Zwergsignal des Abstellgleises zu stehen käme. Nach seiner Aufforderung hielt ich natürlich sofort an, aber auch das galt als Signalfall. Was mir deshalb nicht einleuchtete, weil das Ende meiner Lok die ganze Zeit und somit bereits vor dem Losfahren über das geschlossene Zwergsignal hinaus gestanden hatte, so dass ich es gar nicht hatte überfahren können. Zufällig sass ein erfahrener Kollege mit mir im Führerstand. Er sagte, er hätte den Befehl genau gleich verstanden wie ich und deshalb auch dasselbe getan.

Am nächsten Tag auf der Rückfahrt der absolute Tiefpunkt meiner Lokführerkarriere: In Aarau produzierte ich einen echten Signalfall. Das heisst, ich fuhr über ein rotes Signal😲 Das war natürlich eine Todsünde. Ich hatte zwar nach dem vorausgegangenen „Warnung“ zeigenden Signal gebremst, aber das nächste Signal war grün, so dass ich dachte, es hätte nachgeschaltet. Es war aber nicht meines. Als dann plötzlich das rote auftauchte, war es natürlich zu spät zum Bremsen, obwohl ich nur 40 km/h draufhatte. Meine Lok kam trotz Schnellbremsung ca. 25 m hinter dem Signal zum Stehen. Passiert war weiter nichts, und wenn ich nicht den Fahrdienst angerufen hätte, sondern einfach die paar Meter zurückgefahren wäre, hätte niemand etwas gemerkt. So aber bekam ich von meinem Arbeitgeber eine Verwarnung, in Deutschland auch Abmahnung genannt: Noch so ein Ereignis, und man würde sich von mir trennen müssen😲

In dieser Zeit erlebte ich grosse Umwälzungen in meinem Privatleben. Womöglich war ich deswegen in Gedanken woanders. railCare interessierte das natürlich nicht, obwohl ich zwei Tage Sonderurlaub bekommen hatte. In der ersten Schicht danach passierte es. 3 km nach der Abfahrt😲 Ich war von Wangen her kommend mit meinem Zug in Olten Hammer im Gleis 5 angekommen, hatte die Lok abgekuppelt und sollte den Zug umfahren, also die Lok auf der anderen Seite wieder ankuppeln. Ich rief wie üblich den Fahrdienstleiter an und verlangte meinen Rangierweg. Er wirkte ziemlich unsicher und unerfahren, aber sagte, er würde mir wie stets von 5 nach 13 und zurück über Gleis 6 stellen. Ich rollte mit 25 km/h los, als ich plötzlich sah, dass die Weiche falsch stand. Da war es aber bereits zu spät: Er hatte mich ins Gleis 14 statt 13 gestellt, das über keinen Fahrdraht verfügte. Der Stromabnehmer schnellte nach oben, und die Lok war erst einmal nicht mehr zu gebrauchen😲 Der Fahrdienstleiter gab zu, dass er mich falsch gestellt hatte, und der Funkverkehr wurde aufgezeichnet. (In der anschliessenden Befragung habe ich beantragt, die Aufzeichnungen zu sichern.) Trotzdem war wie immer ich als Lokführer schuld, denn es gab ein Stromabnehmer-Senksignal, das gleichzeitig als Fahrverbot für Fahrzeuge mit gehobenem Stromabnehmer galt. Nur gesehen hatte ich es nicht. Hinterher suchte ich es, und tatsächlich: Es war unbeleuchtet, und zu der Zeit dämmerte es bereits. Zudem stand es unten am Boden, wo man es nicht erwarten würde. Ich bekam dann über eine Stunde später eine andere Lok, so dass ich doch noch losfahren konnte. Dafür fiel ein anderer Zug aus.

Das kann passieren, wenn der Fahrdienstleiter die Weiche falsch stellt. Und wer ist schuld? Der Lokführer☹️

Später erfuhr ich, dass es auch bei der SBB immer wieder vorkommt, dass Rangierer mit gehobenen Bügeln in stromlose Abschnitte einfahren. Sogar so oft, dass man sich überlegt, an den Hotspots Balisen einzubauen, die elektrisch angetriebene Loks zwangsbremsen.

Die Loks 038-3 und 042-5 hatten ursprünglich durchaus Stromabnehmer😉

Zehn kleine Lokführerlein…

Als ich bei railCare anfing, wunderte ich mich, dass viele Kollegen so schlecht von der Firma sprachen. Ein paar hatten sich bereits prophylaktisch Stellenangebote bei Konkurrenzunternehmen gesichert oder waren heimlich auf der Suche. Zum Jahresende 2022 verliessen eine Kollegin und der Kollege mit der Weiche in Gwatt die Firma auf eigenen Wunsch. Und dabei sollte es nicht bleiben. Als ich mein Geschäftshandy am Vorabend meiner Schicht einschaltete und die eingegangenen Mails las, traute ich meinen Augen kaum: Einem etwas cholerisch veranlagten externen Kollegen, der als Einmannfirma für railCare arbeitete, war der Kragen geplatzt. Er zog über die Firma und über uns her:

•             Ein deutscher (und damit „arroganter“) Kollege war für die falsche Schicht eingeplant und hatte erst eine Stunde davor festgestellt, dass er mangels Französischkenntnissen nicht in die Westschweiz fahren konnte, so dass der Externe kurzfristig einspringen musste.

•             Ein krankgeschriebener Kollege, der jedes Jahr einen Fotokalender herausgab, hätte mit seiner Kamera an der Strecke gestanden.

•             Unser Teamleiter, der zuvor bei McDonald’s gearbeitet hatte, solle lieber in der Küche stehen, weil ihm jegliche Führungskompetenzen fehlten.

•             Einen bezeichnete er als „tickende Zeitbombe“. Und zwar mich😲 Weil ich bekanntlich zweimal eine Rangiergrenze überfahren hatte. Die Ironie der Geschichte lag darin, dass es beim zweiten Mal vermutlich nicht passiert wäre, wenn er mich während meiner Ausbildung auf eine seiner Touren mitgenommen hätte. Er hatte sich jedoch wegen Corona und ungeklärter Haftpflichtfragen geweigert, so dass ich den Bahnhof Bussigny kaum kannte. Ein anderes Mal ging meine Reserve bis 20.00 Uhr. Auf dringenden Wunsch der Leitstelle sollte ich dennoch wegen Personalmangels von 21.30 Uhr bis 22.10 Uhr den Rangierleiter spielen. Ich war pünktlich da, was den betreffenden externen Kollegen nicht davon abhielt, mich anzupflaumen, ich sei zu spät☹️

Taktisch unklug von ihm war es, dass er seine Mail einen Tag, bevor er bei uns aufhören wollte, schickte, denn die Geschäftsleitung entzog ihm seine Fahrerlaubnis mit sofortiger Wirkung, und er konnte schauen, wie er von Brig nach Hause kam.

Nach dem Vorfall in Olten Hammer war ich an der Reihe. Dort war nicht nur der Stromabnehmer nach oben geschossen, sondern gleichzeitig der Schleudersitz unter meinem Hintern. railCare wartete gar nicht erst ab, was bei der Auswertung des aufgezeichneten Funkverkehrs herauskam. Am Überfahren des roten Signals in Aarau gab es natürlich nichts zu diskutieren. Auch das zweimalige Überfahren der Bahnhofsgrenze und das unlogische „Überfahren“ des Zwergsignals in Hunzenschwil galten als schwer. Vier der fünf Vorfälle waren beim Rangieren passiert. Das war nicht die eigentliche Aufgabe eines Streckenlokführers. Zu meiner Überraschung drehte mir railCare auch aus meinen harmlosen Zwangsbremsungen, die ich in meiner Naivität brav gemeldet hatte, einen Strick. Ich gewann langsam den Eindruck, dass die Schienen für einen Cargo-Lokführer mit mehr Stolperdrähten und Sprengfallen gespickt waren, als ich mir je hätte ausmalen können. Am nächsten Tag durfte ich am Hauptsitz in Härkingen antanzen und meine Kündigung entgegennehmen😲

Ich fragte, ob ich nicht als Disponent, also in einem verwandten Bereich, arbeiten könne, da railCare einen solchen suchte und ich die Firma, die Touren und die Prozesse bereits kannte. Die Personaldame sei zwar nicht für Disponenten zuständig, würde dem Ansinnen aber positiv gegenüberstehen. Eine Woche später bekam ich eine Absage mit Verweis auf die Begründung für meine Entlassung als Lokführer. Und ich dachte immer, bei der Disposition gäbe es keine roten Signale. Noch nicht einmal Zwergsignale oder Bahnhofsgrenzen😉 Den Disponenten suchten sie noch drei Monate später. Die Stellenanzeige für einen Lokführer ist sowieso permanent drin.

Es war Anfang Monat, und da meine Kündigungsfrist einen Monat zum Monatsende betrug, wurde ich fast zwei Monate bezahlt freigestellt. Dabei hatte die Firma nur „vergessen“, dass ich auch während der Freistellung Anspruch auf Zulagen und Pauschalspesen hatte. Das machte in meinem Fall Fr. 1‘900 (2000 €) aus. Als ich sie freundlich darauf hinwies, erklärte sie sich „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ dazu bereit, knapp die Hälfte nachzuzahlen, und auch das nur, wenn ich auf den anderen Teil verzichtete. Und zwar rechtsverbindlich.

Drei Wochen nach mir traf es einen Kollegen, der die Ausbildung mit mir gemacht und einen Monat nach mir begonnen hatte😲 Freilich aus ganz anderen Gründen: wegen angeblicher Arbeitsverweigerung. Einmal wollte er in der Sommerhitze die Lok nicht fahren, weil die Klimaanlage auf einem Führerstand nicht funktionierte. Ein andermal hatte die Lok einen Blechschaden, und er konnte nicht sicher sein, dass jemand damit gegen einen Prellbock oder ein anderes Fahrzeug geknallt war. Er bekam zwar eine andere Lok, aber fuhr mit 80 Minuten Verspätung los. Im Gegensatz zu mir hatte er vor der Kündigung noch nicht einmal eine Verwarnung bekommen. Und nicht nur deshalb lag sein Fall anders als meiner. Er schuldete der Firma nämlich noch einen grossen Teil seiner Ausbildungskosten, die mit dem Austritt sofort fällig wurden. Mit einer Ratenzahlung war railCare nicht einverstanden. Da er mit einer Grenzgängerbewilligung in der Schweiz arbeitete, hätte er sich flugs ins Ausland verflüchtigen können, und railCare hätte in die Tunnelröhre geschaut😉

Er fand zwei Monate nach seiner Kündigung bereits eine neue Stelle. Bei mir hat es einen Monat länger gedauert, und auch das nur, weil der neue Arbeitgeber sich so lange Zeit gelassen hat. Wo ich jetzt bin, verrate ich vielleicht in meinem nächsten Artikel. Also bleibt dran!