Oder: Bikeguide bei TUI – ein Traumjob?
Die schönsten Ecken der Welt sehen, Rad fahren und dabei noch Geld verdienen: Bikeguide ist der coolste Job auf einem Kreuzfahrtschiff. Wir gehen an jedem Hafen an Land und sehen sämtliche Sehenswürdigkeiten. Was ich als Bikeguide auf der „Mein Schiff 5“ erlebt habe, erfahrt ihr in diesem Blogbeitrag.
Schwimmende Hotels
Die Kreuzfahrtbranche boomt. 2 Mio. Deutsche gehen jedes Jahr an Bord. TUI hat dieses Jahr das sechste Schiff in Betrieb genommen, AIDA das zwölfte. Jede neue Generation noch größer, noch gewaltiger als die vorhergehende. Die „Mein Schiff 5“ ist 295 m lang und 35 m breit, hat 14 Decks, kann über 2.500 Gäste aufnehmen und hat 1.000 Besatzungsmitglieder. Nun ist es nicht jedermanns Sache, für einen Minilohn sieben Tage pro Woche zehn Stunden pro Tag zu arbeiten, in einer winzigen Kabine zu hausen und monatelang von zu Hause, Freunden und Familie getrennt zu sein. Deshalb ist es für die Reedereien nicht leicht, die dringend benötigten Besatzungsmitglieder zu finden.
Gleichzeitig ist die Fluktuation unter der Besatzung sehr hoch. Abends gibt es wenig Abwechslung: Man vergnügt sich im Coffee-Shop, im Crew-Pub und in der Crew-Bar. Allen gemeinsam ist, dass es dort günstige alkoholische Getränke gibt. Entsprechend hoch ist der Konsum. Auf einem unserer Schwesterschiffe hörte ein Gast eines Nachts ein Geräusch, das klang, als ob jemand über Bord gegangen sei. Es wurde sofort Alarm gegeben. Die gesamte Gästeschaft musste sich an den Treffpunkten einfinden und wurde durchgezählt: Es fehlte niemand. Danach dasselbe mit der Besatzung. Hier fehlte nicht nur einer, sondern gleich zehn! Die fand man in ihren Kabinen. Sie waren so besoffen, dass sie das Alarmsignal überhört hatten. Für alle zehne war die Reise am nächsten Hafen zu Ende. Kurz darauf versackte mein Chef David in der Crew-Bar und erschien am nächsten Morgen nicht zur Tagesbesprechung.
Andere gehen, weil sie Heimweh haben oder es ihnen an Bord zu eng wird. Wieder andere fühlen sich schlecht oder ungerecht behandelt (siehe unten).
Kein Wunder suchen die Reedereien händeringend Mitarbeiter. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Ungefähr die Hälfte der Besatzung bestand aus Asiaten, die meisten von den Philippinen, aus Indonesien und aus China. Deren Gehälter sind nach deutschen Maßstäben geradezu lächerlich gering. Aber immer noch besser als in ihren Heimatländern, wenn sie dort überhaupt eine Anstellung finden.
Zahlen lügen nicht
Der „SPIEGEL“ hat die Geschäftszahlen von TUI unter die Lupe genommen: Umsatz 650 Mio. €, Gewinn 126 Mio. €. Das ist eine Umsatzrendite von fast 20%. Davon können andere Branchen nur träumen. Und mit der „Mein Schiff 6“ werden diese Zahlen noch einmal deutlich steigen. Insofern finde ich schon, dass die Firma etwas großzügiger sein könnte. Vielleicht muss sie das auch bald, weil sie ja dringend Besatzungsmitglieder sucht. Ach ja, bei den 126 Mio. € handelt es sich um den Gewinn sowohl vor als auch nach Steuern. Die Offshore-Konstruktion über Malta und Zypern macht’s möglich.
Auch ich habe ein paar Berechnungen angestellt. Angenommen, ein Bikeguide fährt 20 Touren im Monat mit durchschnittlich je zehn Gästen, von denen jeder 60 € bezahlt. Ertrag für TUI: 12.000 €. Kosten für TUI: 1.600 €. Soviel verdient der Bikeguide. Natürlich sind die Fixkosten (Abschreibungen auf Schiff und Bikes) und einige variable Kosten wie Verpflegung des Bikeguides und Ersatzteile nicht berücksichtigt. Rechnen wir mal mit 10.000 € Deckungsbeitrag pro Bikeguide pro Monat. Mal fünf Schiffe mal sechs Bikeguides mal zwölf Monate ergibt das happige 3,6 Mio. € im Jahr😮 Also ein hochprofitables Geschäft, was erklärt, warum Bikeguides verzweifelt gesucht werden. Jens, der mich eingestellt hatte, fragte zweimal per E-Mail, ob wir nicht Freunde oder Bekannte anwerben könnten.
Insofern muss die Behandlung, die unsereins an Bord teilweise erfahren hat, erstaunen. Niemand erwartet, dass Bikeguides verhätschelt werden. Aber etwas mehr Respekt und Anerkennung würden nicht schaden. Die Gänse, die goldene Eier legen, als reine „Manövriermasse“ zu betrachten und dementsprechend zu behandeln zeugt nicht gerade von einer weitsichtigen Personalpolitik. Vor allem, wenn man zu wenige von ihnen hat.
Kuschelige Kojen
Als Bikeguides auf der „Mein Schiff 5“ hatten wir sogenannte Single-Share-Kabinen. Das heißt, Dusche/WC wird mit einem Nachbarn geteilt. Mein Mitbenutzer war ein Chinese, der in der Wäscherei arbeitete. Der pinkelte im Stehen, klappte noch nicht einmal die Klobrille hoch und fand dann den Spülknopf nicht, der Schweinigel😞 Das stank (mir) mächtig. Kommentar meiner Kollegen: „Sei froh, dass er in die Toilette pinkelt!“😮 Erst nachdem ich einen Zettel angebracht hatte, hat es sich gebessert.
Immerhin sind es Einzelkabinen mit einem winzigen Waschbecken. Sie messen gerade mal 1,60 m auf 2,20 m. Das Bett befindet sich über dem Schreibtisch und muss jeden Abend heruntergeklappt werden. Eine Leiter gibt es nicht, dafür einen Kühlschrank und einen Fernseher. Damit die Kabinen nicht versiffen, finden regelmäßige Inspektionen statt. Soviel zum Thema „Privatsphäre“. Bettwäsche und Handtücher kann man wechseln, so oft man will. Berufsbekleidung, in meinem Fall die Bike-Kleider und die Schalteruniform, bringt man in die Wäscherei. Nur die eigene Wäsche muss man selbst waschen.
An Bord gibt es keine Wochentage. Einmal habe ich erst gemerkt, dass Sonntag war, weil auf dem erzkatholischen Malta alle „normalen“ Geschäfte geschlossen hatten.
Anspruch und Wirklichkeit
Die meisten Ausflüge können online oder an den Selbstbedienungsterminals an Bord gebucht werden. Biketouren nicht. Erstens muss man abklären, wie fit der Gast ist. Es kommt immer wieder vor, dass sich Gäste überschätzen oder mit Höhenmetern nichts anfangen können und dann beim ersten Anstieg hängenbleiben. Zudem muss sich TUI absichern und verlangt von jedem Teilnehmer eines Bike-Ausflugs eine Einverständniserklärung. Der Gast muss Fragen zu seinem Gesundheitszustand beantworten und versprechen, während der Tour keinen Alkohol zu trinken. Als ich auf meiner ersten Tour auf St. Kitts meine Kollegen traf, standen sie an der Beach Bar und tranken Bier😮 David stellte sich daneben und trank mit. Ich frage mich, welchen Eindruck das auf die Gäste gemacht hat.
In den Teilnahmebedingungen steht ebenfalls, dass sich die Gäste an die Straßenverkehrsordnung zu halten haben. Fast jede Route führte jedoch mindestens einmal in der falschen Richtung durch eine Einbahnstraße. Auf den Scooter-Touren mussten die Fahrzeuge immer wieder über Treppen getragen werden. So ein Gerät wiegt 18 kg, was für eine zierliche Dame eine ziemliche Herausforderung sein kann. Die E-Bike-Tour in Marmaris (Türkei) war wohl seit zehn Jahren niemand mehr gefahren, denn am vermeintlichen Aussichtspunkt standen lauter Bäume. Ähnlich die Aktiv- und die E-Bike-Tour auf den Monte Pellegrino bei Palermo: Die Straße war ebenfalls bereits seit Jahren gesperrt, und wir mussten die bis zu 25 kg schweren E-Bikes zweimal über einen Zaun hieven. Als Gast, der bis zu 70 € für eine Tour bezahlt, würde ich mir da gewisse Fragen stellen. Die Routen werden allesamt von der TUI-Zentrale in Hamburg festgelegt.
Nur sun and fun?
Daß Bikeguides Touren führen und Erklärungen zu den Sehenswürdigkeiten abgeben, ist offensichtlich. Die sind ja der Grund, warum man diesen Job macht. An den schönsten Küstenstädten hinauszugehen, radzufahren und den Gästen die Schönheiten zu zeigen ist für mich das Größte. Das ist aber längst nicht alles: Hinzu kommen Ausflugspräsentationen, Beratung und Verkauf am Schalter, das Zuteilen der Räder auf die Teilnehmer, die Vorbereitung der Tour, das Herunterladen der Tracks auf die Navis, das Deklarieren der Räder für die Hafen- und Zollbehörden, das Lernen der Sehenswürdigkeiten, das Schieben der Räder, die Abgabe von Helmen und Rucksäcken, die Einweisung, die Rücknahme der Ausrüstung, das Desinfizieren der Helme, das Ausfüllen der Protokolle, das Zurückschieben der Räder an Bord, die Nachbesprechung, das Laden der E-Bikes und das Warten und Reparieren der Räder.
Letzteres Kapitel beinhaltet saubermachen, Ketten schmieren, Luft nachpumpen, Bremsbeläge prüfen, Reifen wechseln usw. Der „Klassiker“ sind schleifende Scheibenbremsen. An Seetagen kümmert man sich um die schwereren Fälle. Manche Defekte sind an Bord überhaupt nicht zu beheben. Wir hatten beispielsweise einen Rahmenbruch, einen weiteren Rahmenschaden durch eine zu weit in das Sattelrohr hineingedrückte Sattelstütze, den Totalausfall einer Bremse und zwei Defekte an den fehlkonstruierten elektronischen Nabenschaltungen (siehe unten). Die betreffenden Räder werden als „K.O.“ markiert, was dazu führen kann, daß manche Touren früher ausgebucht sind.
Schiebereien
Das Räderschieben war meine „Lieblingsaufgabe“. Zwar hat der Bike Cage, der sich auf der Portside (Backbord) befindet, eine Shell Door, durch die man die Räder sehr schnell auf die Pier bringen könnte. Gegenüber dasselbe. Das ist aber in meinen zwei Monaten nur ein einziges Mal vorgekommen, und in diesem Fall mußten wir die nicht verwendeten Räder mittschiffs schieben, damit sie nicht im Weg standen. Das war nicht weniger Arbeit. In der Regel werden also die gebuchten Räder mittschiffs geschoben und dort auf die Tourgäste verteilt. Jeder nimmt dann seines mit nach draußen.
Nach der Rückkehr von einer Tour bleiben die Räder zunächst auf der Pier, weil sie von der Security auf Drogen und Sprengstoff untersucht werden müssen, bevor wir sie hineinschieben dürfen. Bei der Konstruktion der Gangway hat niemand daran gedacht, daß wir jeweils zwei Räder gleichzeitig schieben, sonst wäre sie ein paar Zentimeter breiter ausgefallen. Natürlich bringen wir die Räder nicht auf dem kürzesten Weg durch „unsere“ Shell Door in den Bike Cage. Noch nicht einmal auf direktem Weg, sondern wir müssen sie erst einmal auf der „Autobahn“ abstellen, wo sie im Weg sind, und sie dann noch einmal in die Hand nehmen. Wehe, man hinterfragt dieses Prozedere😯
Mitdenken verboten
Als ich David fragte, warum wir die Räder nicht gleich ganz hineinschieben könnten, lautete die Antwort: „Das habe ich dir schon vor einem Monat erklärt.“ Ein paar Tage später schob er diesbezüglich nach, dass ich wirklich überhaupt nichts kapieren würde. Was das umständliche Räderschieben angeht, hatte er sogar recht. Und das trotz – oder wegen – drei verschiedener Begründungen:
Der Grund liegt nach Davids Aussage darin, dass wir zum Raus- und Reinschieben der Räder unsere Crew-ID-Karten beim Security-Mann am Ausgang abgeben müssen. Ich kann kein Problem darin sehen, wenn sie dort zehn Minuten länger liegen und dafür die Fahrräder schneller aufgeräumt sind, aber diesen Gedanken traute ich mich schon gar nicht mehr zu äußern.
Mein Bikeguide-Kollege Tim nannte eine ganz andere Begründung: Damit wir die Gangway für den Ausgang weniger lang blockierten. Auch hier kann ich keinen Nachteil darin erkennen, wenn sich der Einladevorgang über einen größeren Zeitraum erstreckt. Es werden dadurch ja nicht mehr Fahrräder, und zwischendurch können die Gäste immer noch aussteigen, was abends ohnehin kaum noch einer tut.
Von „Shore Excursion Manager“ Arthur, Davids Vorgesetztem, folgte wenig später noch eine dritte Variante: Weil kurz vor dem Auslaufen die meisten Busse von den Ausflügen zurückkämen und deswegen beide Gangways für die zusteigenden Gäste benötigt würden. Dabei könnte man die Räder lange vorher einladen. Von unseren Touren sind wir normalerweise um 14.00 Uhr zurück, und das Schiff legt meistens erst um 19.00 Uhr oder noch später ab.
Aus all dem schloss ich, daß der Kahn eher kentern würde als den Kurs zu ändern. Abgesehen vom Hineinschieben ging es ums Prinzip: Wenn ein Mitarbeiter Fragen stellt, heißt das, dass er mitdenkt und Interesse zeigt. Von einer Führungskraft würde ich eigentlich erwarten, dass sie das honoriert und fördert, zumal in meiner Stellenbeschreibung stand, dass der Bikeguide an der Verbesserung und Weiterentwicklung der Prozesse und Abläufe mitwirken solle. Allmählich frage ich mich, wie David „Shore Activities Manager“ werden konnte, wenn er elementare Anforderungen an seinen Job nicht erfüllt.
Welches Radl hätten’s denn gerne?
TUI bietet neben den E-Scootern (siehe unten) vier verschiedene Fahrradtypen an:
- Trekkingbikes mit relativ schmalen Reifen, jeweils für Damen und Herren
- Mountainbikes mit grobstolligen Reifen
- E-Mountainbikes
- E-Crossbikes mit tiefem Durchstieg und elektronisch gesteuerter Nabenschaltung mitsamt Rücktrittbremse. Die wiegen ca. 25 kg, man sitzt aufrecht, und die Batterie befindet sich über dem Hinterrad, was einen hohen und weit hinten liegenden Schwerpunkt zur Folge hat, der einer Dame in Haifa zum Verhängnis werden sollte (siehe unten). Die geschätzte Gewichtsverteilung von 20% vorne und 80% hinten trägt selbstredend auch nicht zu einem stabilen Fahrverhalten bei. Ein Halter für die Trinkflasche fehlt, so dass ich schon mal Gästeflaschen an meinem Mountainbike transportiert habe. Weil die Nabe nicht unter Last geschaltet werden kann, muss man Kraft vom Pedal nehmen. Tut man das nicht, beispielsweise weil man sonst an einem Anstieg hängenbleiben würde, rattert die Nabe. Man kann auch automatisch schalten lassen. Dummerweise weiß man nie, wann die Nabe das tun will, so dass man auch keine Kraft wegnehmen kann und sie erst recht rattert. Einmal bremste auf einer Tour der Antrieb eines Rades stark ab. Ich gab der Dame auf die Schnelle meines und quälte mich mit ihrem bis zur Gruppe. Das Problem verschwand zwar später wieder, doch lief das Rad im vierten Gang im Leerlauf und der achte Gang war nun der vierte. Diese Räder sind die dümmste Konstruktion, die man sich vorstellen kann.
Allen gemeinsam ist, dass es sich um Hardtails handelt. Ausgewählt von 30jährigen in der TUI-Zentrale, die Bandscheibenvorfälle nur vom Hörensagen her kennen und es nicht nötig haben, mit Orthopäden oder Sportmedizinern zu sprechen. Gerade in Südeuropa, wo wir unterwegs waren, sind Schlaglöcher noch häufiger als bei uns. Hinzu kommt, dass unsere Gäste schwerpunktmäßig der Generation 60+ angehören. Ich warte auf den Tag, an dem ein Gast in fortgeschrittenem Alter mit einem E-Crossbike mit voller Wucht in ein Schlagloch knallt und die Reise mit dem Rettungshubschrauber fortsetzen darf. Traurig, dass immer erst etwas passieren muss, bis die Verantwortlichen aufwachen. Ich fahre seit 20 Jahren nur noch vollgefederte Räder und möchte nie wieder etwas Anderes. An die „Holzklasse“ auf dem Viereinhalb-Sterne-Schiff musste ich mich erst wieder gewöhnen. Es gibt heutzutage hervorragende Fullys, die nicht viel mehr kosten als Hardtails. Diese böten zudem die Gelegenheit, sich von der ebenfalls nur halbgefederten Konkurrenz abzuheben. Und ein Rahmenbruch ist aufgrund der wesentlich geringeren dynamischen Belastung des Materials ebenfalls so gut wie ausgeschlossen. Reaktion auf meinen dahingehenden Vorschlag: „Vergiss es.“ TUI kommt noch nicht einmal auf die Idee, gefederte Sattelstützen zu verwenden. „Für die Gäste nur das Beste“ gilt nur, solange es die Reederei nichts kostet.
Die Räder werden regelmäßig ausgetauscht. Die Gäste können die ausrangierten, an denen alle Verschleißteile erneuert werden, für 495 € kaufen. Natürlich habe auch ich immer wieder Anfragen danach bekommen. Und den Gästen stets von den Folterinstrumenten für den Rücken abgeraten. Natürlich nur, wenn David nicht mitgehört hat😉 Nicht auszudenken, wie begeistert die Gäste von vollgefederten Rädern gewesen wären, und wieviele sie davon gekauft hätten😮
Auf den Aktiv-Touren verwenden manche Gäste ihre SPD-Schuhe und benötigen auch dazu passende Klickpedale. Das bedeutet, dass jeweils am Morgen unter großem Streß noch Pedale gewechselt werden und Hände schmutzig gemacht werden müssen. Natürlich könnte man Kombipedale einsetzen, die diese Aktion erübrigen würden. Aber die kosten 2,50 € mehr. Verglichen mit dem Stundensatz eines Bikeguides ist das eine ganze Menge😉
Anschluss gesucht
Jeder in unserer Abteilung hatte eine „Duty“. Meine waren die E-Bikes, d.h. ich musste sicherstellen, dass vor den Touren alle Batterien voll geladen waren. Das wäre eigentlich einfach gewesen, hätte es dabei nicht ein paar Probleme gegeben:
- Erstens lassen sich die Ladestecker schlecht hineinstecken, und sie rasten nicht ein, so dass man nie sicher sein konnte, ob sie nun laden oder nicht.
- Zweitens sind die Kabel ziemlich kurz.
- Drittens erlöschen die Ladekontrolllampen nach ein paar Minuten. Wenn man den Ladezustand auf den Displays überprüfen will, muss man den Ladestecker wieder herausziehen. Wenn alle in Reih und Glied stehen, so wie auf dem Bild, kriegt man ihn anschließend kaum mehr wieder hinein.
So kam es schon mal vor, dass wir frühmorgens vor einer Tour den einen oder anderen Akku tauschen mussten. Schuld war natürlich ich. Dabei gäbe es mit Sicherheit bessere technische Lösungen. Keine Ahnung, warum unsere Kollegen von der Zentrale in Hamburg, die bei der Auswahl geeigneter Bikes bekanntlich nicht die glücklichste Hand haben, davon nichts wissen (wollen).
Ausgebootet
Die meisten Häfen haben eine Pier, die man über die Gangway erreicht. Leider war diejenige in Monaco belegt, so dass wir tendern mussten. Das bedeutete, dass wir um 4.30 Uhr aufstehen und die Räder zuerst in den Flur schieben und dann panikartig in die Fahrstühle quetschen mussten, um sie auf Deck 5 in die Tenderboote zu laden. Nun war der Wind zu stark, so dass wir nach Villefranche ausweichen mussten. Und auch dort war bis zum letzten Moment alles zweifelhaft. Eine Tour meiner Kollegen musste abgesagt werden, und alle anderen verschoben sich um über zwei Stunden.
Auf Santorin gab es keine Pier für unser Riesenschiff. Wir durften nicht einmal unsere eigenen Tenderboote verwenden. Da hat die Hafenmafia, offiziell Boatmen Union of Santorini, das Sagen. Deshalb schlug ich vor, sich mit den anderen Reedereien zusammenzutun und der Boatmen Union of Santorini das Angebot zu machen, fremde Tenderboote zu akzeptieren oder andernfalls die Insel aus dem Programm zu nehmen. Reaktion (Überraschung!): „Vergiss es.“
Ausbooten bedeutet nicht nur doppelte und dreifache Arbeit beim Räderschieben und -heben, sondern auch frühes Aufstehen und Frühstücken. Bis die Santorin-Tour losging, hatte ich wieder Hunger und besorgte mir am Hafen ein Hotdog. Dummerweise legte just in diesem Moment der lange erwartete Tender mit unseren Fahrradgästen an, so dass ich noch am Essen war, als sie ankamen. Sehr zu Davids Missfallen. Aber was hätte ich tun sollen? Ohne Kalorienzufuhr hätte ich die Tour nicht geschafft.
Handlanger
Jede Reise dauert sieben bis zehn Tage. Dann ist Passagierwechsel. Das bedeutet aber nicht, dass wir frei hätten. So etwas kann sich die Reederei nicht leisten😉Vielmehr werden wir dann für andere Arbeiten eingesetzt, meist für den Check-in. Jede Schicht dauert vier bis fünf Stunden, und man darf die neu ankommenden Gäste fragen, ob sie in den vorangegangenen 48 Stunden hohes Fieber, Erbrechen oder Durchfall hatten. Wenn so viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen, können sich Krankheiten sehr schnell ausbreiten. Deshalb legt man überall größten Wert auf Hygiene.
Mein Kollege Felix hat die Krankheitsfrage eigenmächtig ausgelassen mit dem Argument, dass es sowieso niemand zugeben würde, wenn er tatsächlich positiv sei. Natürlich muss man auch die Ausweise und falls gewünscht Kreditkarten der Gäste einlesen, die Gäste fotografieren, zahlreiche Erklärungen abgeben und ihnen ihre Bordkarten aushändigen. Das würde ja alles noch gehen, aber wenn Scharen ungeduldiger Gäste Schlange stehen, die Namensetiketten, die man auf den einbehaltenen Reisepässen aufkleben muss, sich nicht von der Folie lösen, und man die Anweisung hat, keine Informationen mehr zu geben, sondern die Gäste schnellstmöglich aufs Schiff zu bringen, damit sie rechtzeitig zur vorgeschriebenen Seenot-Rettungsübung an Bord sind, sieht es ganz anders aus😯
Für Häfen, die außerhalb der EU liegen, z.B. in der Türkei, in Israel oder in Ägypten, brauchen die Gäste Visa. Die Zollbehörden kommen zu uns an Bord. Dafür müssen wir die Reisepässe vorbereiten, d.h. nach Kabinennummern sortieren. Auch das dauert bei 2.500 Gästen ein paar Stunden und kann schon mal mitten in der Nacht stattfinden.
Es erübrigt sich zu sagen, dass ich wir immer mal wieder unseren Kollegen von der Ausflugsabteilung beim „Dispatch“ halfen, das heißt, hunderte Gäste in die richtigen Busse zu verfrachten. „Captain Sharky“ zu spielen war ohnehin freiwillig. Dazu schwitzte man in einem dicken Kostüm mit riesigem Kopf und machte damit den Girls vom Kids Club und ihren Schützlingen eine Freude☺
Wie man sich bettet…
Die mit Abstand dümmste Aufgabe ist die „Liegenpolizei“. Die Deutschen haben die unausrottbare Neigung, überall Liegen zu reservieren, die sie dann nicht benutzen. Das Problem wird vor allem an Seetagen akut, wenn alle an Bord und die Liegen knapp sind. Man darf also ein freundliches Schild mitsamt Uhrzeit auf den verwaisten Liegen hinterlassen. Nach einer halben Stunde darf man sie abräumen. Einige ärgern sich darüber und sind unbelehrbar, andere finden es gut. Einem völlig renitenten Gast erzählte ich, dass wir neu ein elektronisches System einführen würden, bei dem nach einer halben Stunde für jede reservierte, aber nicht benutzte Liege ein rotes Lämpchen aufleuchten würde. Mein Kollege Sören hat sich ganz einfach geweigert und ist nicht zu seiner Schicht erschienen. Recht hatte er.
Bei AIDA werden die Gäste per Lautsprecherdurchsage gebeten, keine leeren Liegen zu blockieren. Beinahe hätte ich das bei uns ebenfalls vorgeschlagen. Aber ich hatte keine Lust auf ein weiteres „Vergiss es.“
Einige Liegen waren stark verschmutzt. Aber nicht etwa von den Möwen, sondern vom Schornstein. Der spuckt immer mal wieder Dreck wie ein Vulkan😠
TUIuiuiui
Es gab einige Dinge, die aus meiner Sicht so gar nicht zu einem 4½-Sterne-Schiff passen wollten: Wenn ein Gast eine Radtour bucht, erhält er eine Trinkflasche im „Mein Schiff“-Design. Die kostet 88 Cent und riecht auch so. Besser gesagt stinkt sie so stark nach Plastik, dass es mir jedesmal peinlich war. Sie muss deswegen mit heißem Wasser gefüllt und über Nacht stehengelassen werden, um den ekelhaften Geruch herauszukriegen. Ich will gar nicht wissen, welche Schadstoffe das billige Material enthält. TUI könnte ruhig ein paar Cent in eine bessere Qualität investieren. Auch deshalb, weil wir Bikeguides andere Trinkflaschen hatten, was den Gästen nicht verborgen blieb. Offenbar wollte TUI bei unsereinem nicht das Risiko einer schleichenden Vergiftung eingehen😉
Lächerlich finde ich auch den Corny-Müsliriegel in der für Allergiker besonders geeigneten Geschmacksrichtung Nuss😉
Die Räder werden mit trockenen Tüchern saubergemacht. Oder eben nicht. Ein Reinigungsmittel gibt es nicht. Ich habe mein Tuch jeweils wenigstens befeuchtet. Die Ketten wurden mit Zahnstochern gereinigt und die Navi-Halterungen größtenteils mit Kabelbindern am Lenker befestigt, wo sie nicht recht halten. Auch dafür gäbe es professionelleres Equipment.
Die Lenkergriffe fast aller Fahrräder waren klebrig. Wir haben alles versucht, um das Problem „in den Griff“ zu bekommen: Seifenwasser, Bremsenreiniger, Oxivir. Es half alles nichts. Immer wieder beschwerten sich Gäste, weil sie es eklig fanden. Wir behalfen uns jeweils mit der Ausrede, dass so die Hände nicht so leicht abrutschen könnten😉 Ursache ist mal wieder eine Kostenersparnis von 1,25 € durch die Wahl minderwertigen Materials. An meinen eigenen Rädern verwende ich Griffe von Biologic und von Hermans, beide absolut klebfrei, die einen bereits seit sieben Jahren. Aber ich fahre ja auch 4½-Sterne-Räder😉
Natürlich ist genau festgelegt, welche Bekleidung einem Bikeguide zusteht. Das nützt nur nichts, wenn die erforderliche Stückzahl an Bord nicht verfügbar ist. Deswegen bekommt ein neuer Bikeguide nicht unbedingt neue Sachen, sondern bereits getragene. Die sind zwar gewaschen, aber das bietet keine Gewähr dafür, dass man in der Hose keine Schamhaare des Vorbesitzers findet😯
In Ashdod, Israel, durften wir nicht mit den Rädern im Hafen fahren, so dass wir einen Lastwagen bestellten, um die Räder hinauszubringen. Wir bekamen aber keinen. Später erfuhr ich, daß der LKW zu spät bestellt worden sei. Deshalb wurden alle Radtouren abgesagt. Der Verantwortliche hätte dafür nicht nur einen Performance Log, sondern ein Warning verdient. Es war? David.
Das gesamte Schiff ist ja klimatisiert. Natürlich wie überall viel zu kalt. Deshalb habe ich die letzten drei Wochen an Bord nur noch gehustet und war sogar zwei Tage lang krankgeschrieben.
Auch die Frischluftzufuhr erfolgt automatisch. Ich frage mich, wo diese wohl angesaugt wird. Einmal stank es nach faulen Eiern (Schwefelwasserstoff), zum Glück nur im Gästebereich😉 Beim Bunkern, fachchinesisch für Tanken, riecht es in den Fluren nach Treibstoff. Aber die Krönung sind zweifellos die Tenderboote der Hafenmafia von Santorin. Da gibt es sogar in den Kabinen dicke Luft. Der Gestank nach Abgasen, und zwar wie in der Seefahrt üblich nach ungefilterten, ist kaum auszuhalten. Ich bin mir fast sicher, dass sämtliche Grenzwerte überschritten sind.
Auf der „Autobahn“, und zwar da, wo die Gäste normalerweise ein- und aussteigen, hängen allerlei Awards für TUI und die „Mein Schiffe“. Nur wofür ist mir nicht klar. Für professionelle Ausrüstung, gute Organisation oder ein gesundes Wohlfühlklima an Bord jedenfalls nicht😉
Neben der Spur
Die Routen sind wie gesagt ganz genau festgelegt, und man fährt nach Navi. Ein Kinderspiel, sollte man denken. Weit gefehlt: Die von TUI eingesetzten Garmin-Navis müssen noch aus dem letzten Jahrhundert stammen. Dass die Halterungen mit Kabelbindern nicht halten, hatte ich bereits erwähnt, und das sollte fatale Folgen haben (siehe unten). Das Display misst gerade mal 2,2 Zoll. Mein Smartphone hat 5,5 Zoll, d.h. die Anzeigefläche ist mehr als sechsmal so groß. An Bord sollte man so ein Garmin nicht einschalten, weil es den Satelliten nicht findet und gerne mal abstürzt. (Und nicht nur dort.) Ist man bereits draußen und stellt fest, dass der Track fehlt, ist es zu spät, siehe unten. Wenn die Sonne im falschen Winkel auf das Display scheint, sieht man ebensowenig wie auf Kopfsteinpflaster oder durch die Bike-Brille. Deswegen kam ich regelmäßig mit roten Augen von meinen Touren zurück.
Schlimm genug, aber es kommt noch dicker: Diese altertümlichen Geräte beherrschen nur die Navigation nach Track, nicht nach Route. Der Unterschied? Im letzteren Fall zeigt das Gerät wie im Auto „Nach 50 m rechts abbiegen“. Bei uns zeigt es nur die aktuelle Position und die Strecke, der man folgen sollte. Das heißt, man muss ständig höllisch aufpassen, ob man noch auf dem Track ist. Gleichzeitig muss man auf den Verkehr (z.B. in Athen) und die Straße (Schlaglöcher, Scherben, …) achten und die Gruppe im Blick behalten. Um es mal positiv zu formulieren: Einem Bikeguide wird es unterwegs nie langweilig😉
Auf Kreta sah ich in der Altstadt von Chania meinen Track plötzlich nicht mehr und machte deshalb an der falschen Stelle Pause. Bei der zweiten Tour wurde mir an derselben Stelle klar warum: Wir wählten meist türkis als Farbe für den Track, und wenn der an der Uferpromenade entlangführt, hat das Meer nahezu dieselbe Farbe.
Die rollenden Zeitbomben
Neben Radtouren bietet unsere Abteilung auch Touren mit Elektro-Scootern an. Die bisherigen, 12 kg schweren Citybugs wurden Ende April durch 18 kg schwere Egrets abgelöst. Das Mehrgewicht geht auf eine stärkere Batterie zurück, die eine größere Reichweite erlaubt. Anstelle der Zug-Druck-Steuerung über die Lenksäule hatten die Egrets rechts einen richtigen Gashebel und links einen Bremsgriff. Die Höchstgeschwindigkeit betrug offiziell 20 km/h, aber meine Kollegen fanden rasch heraus, dass mindestens einer nicht gedrosselt war und 32 km/h lief. Der wurde als Guide-Scooter verwendet.
Aus den Egrets sollten rasch Regrets werden: Mehrere Ständer brachen ab. Auf meiner Tour durch Rhodos klappte kurz nach dem Start einer der Gäste-Scooter zusammen. Passiert ist zum Glück nichts, und ich konnte auf dem Schiff Ersatz besorgen.
Im türkischen Bodrum hatten wir kaum Buchungen, so daß ich den Schlussmann für die von Felix geführte Scooter-Tour machen sollte. Wie immer drehten die Gäste zuerst eine Proberunde. Bei dieser zeigte sich, dass bei Scooter Nr. 1 die Bremse schleifte. Das Problem war auf die Schnelle nicht zu beheben, so dass ich wie so oft den Scooter des Gastes übernahm und er meinen. Ein paar hundert Meter weiter der Unfall: Mein Scooter klappte ohne Vorwarnung in der Mitte zusammen😮 Ich fiel und landete glücklicherweise auf dem Rücken, wo ich zum ersten Mal froh um meinen schweren Bikeguide-Rucksack war, der den Sturz dämpfte. So habe ich mir nur den Ellbogen aufgeschürft. Nicht auszudenken, wenn das dem Gast ohne Rucksack passiert wäre😮 Ich schob den defekten Scooter zum Schiff zurück, während Felix mit der Gruppe die Tour fortsetzte. Ich tippe auf einen Konstruktionsfehler. Ein weiterer Scooter zeigte wenig später einen Defekt in der Lenksäule. Die Egrets werden in China hergestellt und haben keine deutsche Straßenzulassung. Ausgewählt von unseren kompetenten Kollegen von der Zentrale in Hamburg.
Dann passierte ein kleines Wunder: Obwohl es bei der letzten Scooter-Tour keine Verletzten gab, wurden unter tatkräftiger Mithilfe des Safety Office sämtliche weiteren erst einmal abgesagt. Das wird der Firma nicht gefallen. Wir sollten nun die sieben betroffenen Gäste anrufen und ihnen eine falsche Begründung auftischen. Glücklicherweise waren gerade alle beim Abendessen, so dass David Kabinenbriefe schreiben und verteilen musste. Und zwar erst am Abend vor der nächsten Tour, so dass sich einige Gäste wieder mal beschwerten, weil sie keine anderen Touren mehr buchen konnten.
Nachtrag vom 2.9.2017: Auf der Eurobike komme ich zufällig am Stand von Grofa vorbei, die die Egrets nach Deutschland importiert. Der freundliche Mitarbeiter erklärte, dass wir wohl Version 1.0 gehabt hätten. An der Messe stand Version 1.5, die einen zusätzlichen Sicherungsbolzen hatte, der das plötzliche Zusammenklappen verhindern soll. Zudem klappt der Ständer inzwischen dank einer Feder beim Losfahren von selbst nach oben, so dass er nicht mehr abbrechen kann, wenn ein Gast ihn untenläßt. Drittens hätte man auch die Lenksäule geändert, und um eine deutsche Zulassung zu bekommen, wurde das Modell vorne mit einer zweiten Scheibenbremse ausgestattet.
Die böse Schwester
Unser neuestes Schwesterschiff, die MS6, ist im Mai 2017 mit einer Handvoll geladener Promis und VIPs zur Vorjungfernfahrt ausgelaufen.
Und machte von Anfang an Schlagzeilen, allerdings vorwiegend negative: Einige IT’ler hatten bei einer privaten Kabinenparty mit einer brennenden Zigarette im Mülleimer einen Brand ausgelöst. Feuer auf einem Schiff ist so ziemlich das Gefährlichste, das es gibt. Die handverlesenen Gäste warfen derweil in der Osteria mit Pizzen und Pasta aufeinander, und in der Abtanzbar droschen sie aufeinander ein. Bei der Schiffstaufe Anfang Juni zerbrach beim ersten Versuch die Flasche nicht. Das ist ein schlechtes Omen und bedeutet, dass der Kahn bald sinken wird. Das war aber immer noch nicht alles, denn fast gleichzeitig wurde bekannt, dass auf der Vorjungfernfahrt zwei junge Männer eine Britin vergewaltigt haben sollen. Die beiden stellen den Sachverhalt ganz anders dar, was die Sache nicht besser macht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Wer wird Millionär?
Eines Tages informierten mich meine Kollegen Tim, Felix und Sören, dass sie mich für unser Crew-Quiz angemeldet hätten, weil sie mein Allgemeinwissen bräuchten. Es nahmen 16 Vierergruppen teil. Unsere hieß „Die Biker“. In den ersten beiden Runden zu den Themen „Allgemeines“ und „Geografie“ hatten wir als jeweils einzige die volle Punktzahl und bekamen dafür Extrapunkte. Die Technik im „Studio“ kriegte sehr schnell mit, wohin sie den Spotscheinwerfer nach jeder Runde richten musste. In der dritten Runde zum Thema „Musik und Film“ wusste niemand, welche Rolle Marilyn Monroe in „Some Like It Hot“ spielte (Sugar Cane), aber mit einer anderen Gruppe zusammen waren wir mit 9 von 10 Punkten wieder an der Spitze. Für die vierte Runde kamen nur noch die vier besten Gruppen zum Zug. Es galt, fünf berühmten Straßen die betreffenden Städte und Staaten zuzuordnen. Nun blieben nur noch drei Gruppen übrig, die alle fünfe wussten. In der fünften Runde hatten wir nur noch zwei der fünf Fragen richtig, lagen damit aber erneut mit an der Spitze und kamen so in die Endauswahl, die von der Stichfrage entschieden wurde, wieviele der ca. 2.200 griechischen Inseln bewohnt sind. Als Favoriten ließen wir der anderen Gruppe den Vortritt, die 2.000 schätzte. Wir wussten, dass es wesentlich weniger waren, und einigten uns auf 200. Es waren 117. Damit hatten wir gewonnen, und der Jubel kannte keine Grenzen mehr😃 Irgendwie hatten die Veranstalter mitbekommen, dass die meisten richtigen Antworten auf mein Konto gingen. Unsere Preise waren u.a. griechische Delikatessen, Handy-Lautsprecher und Seidentücher, gestiftet von Crew Welfare.
Biken bildet😉
Obwohl wir unsere Sieger-Urkunden im Office aufgehängt hatten, verlor David darüber kein Wort. Vermutlich hat er nie eine Vorlesung in Personalführung belegt. Deshalb konnte er nicht wissen, dass nicht ausgesprochenes Lob wie vorenthaltener Lohn ist😉 Von ihm kam nie eine Aufmunterung, eine Ermutigung oder ein positives Feedback, im Gegenteil: Er freute sich jedesmal diebisch, wenn er wieder etwas bekritteln konnte. Hingegen war er von der Schlägerei auf der MS6 begeistert. Nein, da gibt es natürlich keinen Zusammenhang😉
Allen Leuten recht getan…
Die Gäste erhalten am Ende ihrer Reise Fragebögen, auf denen sie angeben können, wie zufrieden sie waren. Das wird sehr ernstgenommen. In einer Feedback-Runde war u.a. zu lesen, dass die Bikeguides viel zu jung und unvernünftig seien. Ich konnte mir „Das sage ich auch die ganze Zeit!“ an die Adresse meiner Kollegen nicht verkneifen😉 Die Quittung kam postwendend: „Das ist erst, seit du dabei bist!“😃
Ein anderer Gast schlug ähnlich dezidiert wie ich Fullys vor. Vermutlich hat auch er „Vergiss es!“ zur Antwort erhalten.
Mit der von mir geleiteten E-Bike-Tour in Kuşadası waren die Gäste unzufrieden: Die Fahrräder seien zu kompliziert gewesen, die Ansteige zu steil und die Strecke zu kurz. Den Track hatte David abgeändert, aber er schob die Schuld natürlich auf mich.
Auf meiner zweiten Athen-Tour klappte alles, abgesehen davon, dass einer Frau auf den rutschigen Natursteinplatten, vor denen ich sie gewarnt hatte, das Rad wegschlidderte, so dass sie ein Pedal in die Wade und davon einen blauen Fleck bekam. David freute sich gar nicht, dass er es zuerst von den Gästen erfuhr, die sich nach der Tour bei ihm beschwerten. Als ob ich etwas dafürgekonnt hätte.
Ein weiteres junges Paar beschwerte sich über dieselbe Tour. Zuerst bei David am Buchungsschalter und nach ihrer Rückkehr auch noch schriftlich bei der Zentrale: Ich sei zu schnell gefahren, hätte kaum nach hinten geschaut, um zu sehen, ob alle da seien, und sei planlos durch den Botanischen Garten geirrt. Dabei hatte ich extra gefragt, ob es vom Tempo her passte, und noch öfter konnte ich gar nicht zurückschauen, wenn ich vorwärtsfahren wollte. Zudem hatte ich einen Herrn mit einem auffälligen roten Trikot zum Schlussmann bestimmt. Und im Botanischen Garten war ich exakt dem Track gefolgt. Dasselbe Paar machte auch meine Scooter-Tour auf Rhodos mit und hatte erneut etwas zu meckern: Ich sei wiederum zu schnell gefahren, hätte keine Rücksicht auf die Gruppe genommen, hätte zu wenig erklärt, hätte die Gäste nicht vor gefährlichen Stellen gewarnt und hätte das benötigte Werkzeug nicht dabeigehabt. Ich dachte, ich höre nicht recht.
Von allen anderen Gästen erhielt ich stets Applaus und Komplimente, wie gut ich alles gemacht und erklärt hätte. Und zwar auch für die beiden letztgenannten Touren durch Athen und auf Rhodos. Zweimal luden mich Gäste sogar ein. Ich war mächtig stolz. Meine letzte eigene Tour war die ca. 35 km lange Landschaftstour in Salerno mit zwei jungen Pärchen. Die Amalfi-Küste ist malerisch, und es klappte auch alles, aber die Tour an sich war aus meiner Sicht nicht die beste. Das wurde sie erst bei der Rückkehr, als ich mein erstes Trinkgeld erhielt! Zwar „nur“ 5 €, aber ich muss Freudentränen in den Augen gehabt haben😃 Man soll ja gehen, wenn es am schönsten ist. So gesehen habe ich den perfekten Zeitpunkt erwischt.
Nun ist es üblich, dass Trinkgeld in unsere gemeinsame Kasse wandert, aber auf meinen Wunsch hin wurde mir gestattet, meines zu behalten, zumal ich von dem Pott ja nichts mehr habe. David schlug vor, dass alle auf meinem 5-€-Schein unterschreiben. Er hatte überhaupt nichts kapiert: Seine Unterschrift hätte mein „Heiligtum“ völlig entehrt😉
Umsatz, Umsatz über alles
Der Grund, warum wir die Gäste vor den Touren beraten und ihnen Fragen zur Gesundheit stellen, liegt darin, ungeeignete auszusondern. David ist seit acht Jahren dabei und hätte das eigentlich wissen müssen. Einige Monate zuvor war ein Gast auf einer seiner Radtouren an Herzversagen gestorben. Daraus gelernt hat er nichts, buchte er doch für die E-Bike-Tour in Marmaris einen Gast ein, der kürzlich operiert worden war und dem seither ein Lungenflügel fehlte. David wusste, ss jener die Tour nicht schaffen würde, wollte sie ihm aber trotzdem verkaufen. Dann „vergaß“ er, ihn in seine Gruppe zu nehmen, so dass er mit mir fuhr. Kaum ging es die ersten Höhenmeter hinauf, kam er trotz „hoher“ Motorunterstützung nicht mehr weiter. Der Gast und seine Frau wollten nun alleine zurück zum Strand, aber das war in den Teilnahmebedingungen explizit ausgeschlossen. Kein Bikeguide würde je einen Gast allein mit dem Rad losfahren lassen. Nachdem ich David nicht erreicht hatte, rief ich Tim an, der mir Kollegin Laura schickte, während ich ihr mit den beiden ein Stück entgegenfuhr. Ein Lob habe ich dafür nicht bekommen. Ebensowenig wie David eine Verwarnung („Performance Log“). Hinterher hieß es lediglich kleinlaut, dass man solche Gäste nicht mehr einbuchen dürfe. Das hatte man bereits zuvor nicht gedurft.
Der Anfang vom Ende
Es war die Tour, die alles geändert hat. Weil Felix aus unbekannten Gründen ausfiel, „durfte“ ich seine E-Bike-Gruppe übernehmen. Bei der Proberunde klemmte bei einem Gast die elektronische Gangschaltung, so dass ich sein Rad übernehmen musste. Schon wieder so einen mühsamen Damen-Crosser. Natürlich musste ich die Navi-Halterung umbauen. Die hielt erstens nicht, und zweitens war auf meinem Navi kein Track drauf! Ich konnte es gerade noch David sagen, der die gleiche Tour parallel fuhr und mir sein Navi überließ. Ich verfuhr mich denn auch wieder kurzzeitig, aber ohne dass die Gäste es merkten. Ganz im Gegensatz zu David, der es mir auch sogleich verübelte.
Wir erklommen 350 Höhenmeter. Laut dem einmal mehr von David abgeänderten Track sollten wir auf der anderen Seite hinunter zum Strand von Turunç und für den Rückweg wieder hinauf und noch einmal auf der Seite von Marmaris hinabfahren. Das wollten aber die Gäste nicht, Motorunterstützung hin oder her. Am höchsten Punkt hielten wir an. Mein Schlussmann konnte auf den Kieselsteinchen nicht richtig bremsen und stürzte, als er schon fast stand. Ich eilte natürlich zu ihm, aber er stand sofort wieder auf und versicherte mir, dass nichts passiert sei. Dann lenkten andere Gäste meine Aufmerksamkeit ab und wollten Wasser von mir. Ich gab ihnen alles, was ich hatte, obwohl ich selbst halb am Verdursten war. Wir warteten auf David und seine Gruppe, die ohne anzuhalten nach Turunç hinuntersauste. Der Gestürzte schloss sich Davids Gruppe an und war weg, bevor ich etwas sagen konnte. Die übrigen machten mit mir oben kehrt. Auf dem Rückweg trafen wir zwei Nachzügler von Davids Gruppe, die er längst aus den Augen verloren hatte und die sich uns anschlossen. Wir fuhren zum Strand von Içmeler, der auf dem Rückweg lag. Dort haben mich Gäste wieder eingeladen, und das bestimmt nicht, weil sie unzufrieden gewesen wären.
Wer sauer war, war David. Aber richtig: Er warf mir vor, dass ich den Track auf dem Navi gelöscht hätte und den Gast, der sich offenbar den Unterschenkel und den Unterarm aufgeschlagen hatte, nicht verarztet hätte. Er sei unter Schock gestanden, und ich hätte ihn nicht weiterfahren lassen sollen. Außerdem tadelte David mich, weil ich die Tour abgekürzt hatte. Was hätte ich dann mit dem Verletzten machen sollen? Und mit den übrigen Gästen, die die zusätzliche Abfahrt und den Wiederanstieg gar nicht wollten und womöglich auch nicht geschafft hätten?
Wenn zweien dasselbe passiert…
In Haifa, Israel, mussten wir die Räder im Terminal über eine Rolltreppe nach oben und nach der Tour wieder nach unten befördern. Diese E-Bikes sind ja ziemlich schwer, und die Rolltreppe war nicht dafür gedacht und entsprechend steil. Natürlich waren wir unseren Gästen behilflich, aber eine Frau wollte ihren Damen-E-Crosser mit höhergelegtem Schwerpunkt (siehe oben) unbedingt selbst hinaufbringen, schaffte es nicht, stürzte, brach sich mehrere Rippen, durfte den Rest ihres Urlaubs im Krankenhaus verbringen, war monatelang in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt und hatte noch lange Schmerzen😮
Wer nach Davids Reaktion auf meinen Gestürzten (der am nächsten Tag die nächste Radtour machte, und zwar ohne Verband oder Pflaster) denkt, dass er vor Mitgefühl für die arme Frau am Boden zerstört wäre, hat sich getäuscht: Er freute sich, weil die Dame nicht in unserer Unfallstatistik auftauchte…
Zurück zur Haifa-Tour: Ich fuhr mit David und übernahm die wenigen Erklärungen. Natürlich habe ich auch diesmal etwas falsch gemacht: Bab, dessen prunkvolles Grabmal sich in Haifa befindet, sei gar nicht der Begründer des Bahaismus gewesen, sondern seine Nachfolger. Seltsam nur, dass man denen keine ähnlich prominente Gedenkstätte errichtet hat😉
Setzen, (drei Komma) sechs!
Das Gesetzbuch an Bord heißt „Fleet Operations Manual“. Darin ist alles bis ins kleinste Detail festgelegt. Beispielsweise steht darin, daß man nach 90 Tagen, also zum Ende der Probezeit, ein Zeugnis, pardon „Appraisal“ bekommt. Demzufolge stand auf meinem auch ein Kreuzchen vor „At the end of the probation period (90 days)“. Nur daß ich es bereits nach 35 Tagen bekam. Niemand konnte mir sagen, warum sie sich nicht an ihre eigenen „Gesetze“ halten. Die Benotung erfolgt mit deutschen Schulnoten mit dem Unterschied, dass 4 nicht „ausreichend“ bedeutet, sondern „improvement required“. Mein Durchschnitt lag bei 3,6. Das sagt viel aus. Aber nicht über mich😉 Aus Davids Sicht vollkommen logisch: Ein Bikeguide, auf den man sauer ist, kann nicht gut sein. Er hat quasi mein Appraisal als Instrument, um seinen Ärger auszudrücken, missbraucht. Sein Kommentar: „Der Verletzte ist noch gar nicht mit berücksichtigt, sonst wärst du noch schlechter weggekommen.“ Wenn es ein 30-Tages-Appraisal hätte sein sollen, hätte die Marmaris-Tour gar nicht einfließen dürfen. Dann hätte es entsprechend besser ausfallen müssen. Ich gewann den Eindruck, dass David alles so zurechtbog, dass es ihm in den Kram passte. Zudem drohte er mit „Leistungsanforderungen“. Für die angeblich unterlassene Erste Hilfe folgte kurz darauf ein „Performance Log“, auf deutsch eine Verwarnung.
„Schlau“, wie David war, wies er darauf hin, dass Jens und sein Chef Arthur natürlich seiner Ansicht seien. Vermutlich wollte er vermeiden, dass ich mich dort über ihn beschwere. Aus allem, was ich gemacht habe, drehte David mir einen Strick. Er schaffte es sogar, mir einen Vorwurf zu machen, als ich eine defekte Excel-Formel in einer unserer zahlreichen Tabellen in Ordnung bringen wollte. Die Begründung ist mir leider entfallen. Vielleicht weil sie mein logisches Denkvermögen überfordert😉
Ich bin dann mal weg
Was hättet ihr an meiner Stelle getan? Ich sah vier Möglichkeiten:
- Das Zeugnis und den Performance Log vor Davids Augen zerreißen.
- Mit David und/oder Arthur reden und sie um eine fairere Bewertung bitten.
- Weitermachen und mir nichts anmerken lassen.
- Kündigen.
Im ersten und im zweiten Fall wären die Folgen ungewiss gewesen. Nicht anzunehmen, dass sie meine Noten verbessert hätten. Außerdem widerstrebte es mir, als Bittsteller aufzutreten. Ich wollte auch nicht noch monatelang mit gesenktem Kopf gute Miene zum bösen Spiel machen.
Da blieb nur noch Variante vier: erhobenen Hauptes von Bord zu gehen. Mein Vertrauen in die Firma war inzwischen so weit gesunken, dass ich zuerst die Gutschrift meines Gehalts für Mai abwarten wollte. Ganz so schlimm war es dann doch nicht. Ich habe im Juni sogar noch mein anteiliges Urlaubsgeld erhalten. Den Rückflug musste ich selbst bezahlen. Deshalb checkte ich als nächstes die Flugpreise von den Flughäfen der nachfolgenden Destinationen. Der günstigste war Palma de Mallorca. Sieben Tage, bevor wir dort anlegten, kündigte ich. Auf dem Schiff war man überrascht. Was nun wiederum mich überrascht hat. Ich hatte gedacht, dass nur Mitarbeiter, die man loswerden wollte, ein solches „Appraisal“ bekämen😉
Eine fünfte Lösung, nämlich die Versetzung auf ein anderes Schiff, fiel mir erst hinterher ein, schien mir aber ebenfalls wenig erfolgversprechend. Zumal Jens es erst wenige Tage zuvor für „nicht legitim“ gehalten hatte, wenn ein Bikeguide kündigt, der gegen seinen Willen versetzt wird. Seit wann bestimmt der Manager, aus welchen Gründen ein Mitarbeiter gehen darf? Der Hintergrund war nicht schwer zu erraten: Unsere Kollegen auf unseren Schwesterschiffen hielten genausowenig wie wir vom „Ich Chef, du nix“-Approach, sondern zogen ebenfalls einvernehmliche Lösungen vor. Dann bräuchte Jens auch nicht so verzweifelt Bikeguides anwerben.
Nun wollte David den Grund für meine Kündigung wissen. Ich hätte ihm natürlich sagen können, was ich von ihm hielt, aber Verbalinjurien waren nicht mein Stil. Deshalb griff ich wie so oft zur Ironie. Nicht anzunehmen, dass er diese verstanden hat, als ich ihm erklärte, dass ich zu doof für den Job sei, weil ich die Batterien der E-Bikes nicht laden, vor der Tour essen, die falschen Fragen stellen, die Sehenswürdigkeiten falsch erklären, keine Erste Hilfe leisten und die Tracks vom Navi löschen würde. Seine Antwort lautete: „Das sind wirklich schwere Schnitzer.“ Q.e.d. Von der defekten Excel-Formel ganz zu schweigen. Diese korrigieren zu wollen war vermutlich mein größter Fehler😉
Der Legastheniker und der Literat
Arthur, der mein Zeugnis unterschrieben hatte, stellte die gleiche Frage. Ihm schenkte ich reinen Wein ein: David bringt keinen einzigen korrekten Satz zustande, und seine Lieblingswörter lauten „g…“ und „Sch….“. Dazwischen jede Menge „äääähhhhmmmm“ und „jaaaaaaaaaaaaa“. Schriftlich sah es nicht viel besser aus. Wie will so einer meine Deutschkenntnisse (mit einer 3) bewerten? Er konnte ja nicht wissen, dass ich Redakteur war, ein Buch geschrieben habe, jeden Kommafehler auf drei Meter Entfernung erkenne und mehrere Fachartikel publiziert habe😉
Ähnlich mit meiner Englischnote. Ich war ein Jahr in den USA gewesen, hatte in meinem High-School-Zeugnis nur „A’s“, habe acht Monate in England studiert und ebenfalls alle Prüfungen erfolgreich bestanden. Gemäß David reichte das ebenfalls gerade mal für eine 3. Auch hier hatten mich qualifiziertere Personen bereits zutreffender bewertet.
Es stimmte zwar, dass ich an den ersten paar Tagen regelmäßig zwei Minuten zu spät gekommen war. David hat nie etwas gesagt, sondern Felix, der selbst schon mal mit 10 Minuten Verspätung zu unseren Meetings erschien. Erst da merkte ich, dass mein Wecker zwei Minuten nachging, und war von da an pünktlich wie eine Schweizer Uhr. Ups, stimmt gar nicht: Einmal hatte ich irrtümlich sechs statt 16 Uhr zum Räderschrauben memorisiert, und David rief mich um 16.10 Uhr an. Ein Wunder, dass ich für mein „Time Management“ keine 5 kassiert habe, sondern eine 4😉 Welche Note mag wohl ein Manager bekommen haben, der in zwei Monaten dreimal verschläft?
Auch für meine „knowledge of the firm“ gab es eine 4, also ungenügend. Vermutlich würden sich die Verantwortlichen inzwischen wünschen, dass ich weniger über die Firma wüsste😉
Ich hätte für fast jede Note gute Argumente bringen können, sah darin aber keinen Sinn. Auch so wirkte Arthur anschließend sehr nachdenklich und meinte, er hätte einigen Diskussionsstoff. Es klang nicht so, als ob er mit David sonderlich einig wäre. Andererseits machte ich mir keine Illusionen, ob Arthur sich im Zweifelsfall auf die Seite eines seiner langjährigen Offiziere oder eines aufmüpfigen neuen Bikeguides schlagen würde.
Das Grundproblem liegt darin, dass Bikeguides ihren Job machen, weil er ihnen Spaß macht. Wenn der Manager, in diesem Fall David, nun seine Macht mit disziplinarischen Maßnahmen durchzusetzen versucht, verdirbt er dem Bikeguide die Freude und zieht ihm quasi den Teppich unter den Füßen weg. Da beißt sich der Fisch in den Schwanz. David scheint das nicht begriffen zu haben.
Vor meinem Abstieg bekam ich ein zweites Appraisal. Meine Deutschnote hatte sich auf wundersame Weise von 3 auf 1 verbessert. Alle anderen Noten hatten sie hingegen vergessen zu ändern. Beim „End of cruise“-Meeting konnte ich mir eine weitere ironische Spitze nicht verkneifen: Offenbar hatten die Gäste, die mir Trinkgeld gegeben hatten, nicht mitbekommen, was für ein schlechter Bikeguide ich war😉
Mit meiner Kündigung befand ich mich in bester Gesellschaft. David hatte mir einmal anvertraut, dass es „geknallt“ hätte, wenn meine Vorgängerin Maren länger geblieben wäre. Ich begann zu begreifen warum. Zwei Wochen nach mir hat Sören gekündigt. Den Grund weiß ich nicht, nur dass er sich nichts gefallen lässt. Er blieb bis Ende Juni. Dann sollte Daniel kommen, ein alt-neuer Bikeguide, der zuvor Manager war, das heißt Davids Position innegehabt hatte. Ob das gutgeht, wenn er neu David unterstellt ist? Und auch dann fehlen immer noch zwei Bikeguides, so dass die Gruppengrößen erhöht werden sollen. Das ist schlecht sowohl für die Gäste als auch für die Bikeguides😯
SUPoptimal
Nun bietet ja meine Abteilung nicht nur Rad- und E-Scooter-Touren an, sondern hatte in der Karibik auch Tauch- und Golftouren mit eigenen Guides im Programm, im Mittelmeer jedoch nicht. Dafür kommen wieder SUP-Touren hinzu. SUP steht für Stand-up Paddling, d.h. man steht auf einem aufblasbaren Brett und bewegt sich mit einem Paddel vorwärts. Eine sogenannte „Trendsportart“, die mir überhaupt nichts gibt. Schwimmen ist viel schöner, und man benötigt weder ein Gerät noch Vorbereitungszeit. Nur kann man den Gästen keine „Schwimm-Touren“ verkaufen😉 Eigentlich hätten wir einen neuen SUP-Guide bekommen sollen, so dass die Gäste die SUP-Touren bereits buchen konnten. Der Guide kam nicht, aber die Gäste hatten bereits gebucht. David kam nun nicht etwa auf die Idee, die SUP-Touren zu stornieren, sondern wollte aus uns SUP-Guides machen. Meine Kollegen und ich waren davon wenig begeistert. Keiner von uns ist Rettungsschwimmer, und wir kennen uns mit Wind, Wellen und Strömungen nicht aus. Zudem erwarten die Gäste, die 60 € für eine SUP-Tour bezahlen, einen erfahrenen Guide und nicht einen Anfänger, der sich selbst kaum auf dem Board halten kann. Felix schaute sogar in seinem Arbeitsvertrag nach, ob er dazu verpflichtet ist. David machte unmissverständlich klar, dass wir unterschrieben hätten, auch andere Arbeiten auszuführen, und es sich andernfalls um „Arbeitsverweigerung“ handeln würde. Schon wieder die disziplinarische Peitsche, auf die gerade Bikeguides ausgesprochen allergisch reagieren. In Bodrum schleppten wir die Dinger zum Strand, pumpten sie auf und ließen sie ins Wasser. Tim und Sören kamen damit ganz gut zurecht, die übrigen eher weniger. Ich blieb hustenbedingt am Strand.
Der Held der Frauen
Eines muss man David zugutehalten: Bei ihm passt alles zusammen. Ausdrucksweise, Rauchen, Tätowierungen, Alkoholkonsum, Verhalten und Frauen. In all den Jahren, in denen er schon auf dem Schiff war, hat ihm niemand gesagt, wie man Villefranche, Ajaccio oder den Namen des spanischen Nationalkomponisten Manuel de Falla ausspricht. Die Gäste („Doktoren und Professoren“) werden sich ihren Teil gedacht haben. Wenn man bedenkt, dass er für die Fahrräder zuständig ist, hätte ich eigentlich erwartet, dass er den Unterschied zwischen Reifen und Laufrädern kennt. Das hätte einige Verwirrung vermieden. Am Strand bezeichnete er Sand schon mal als „Fischkacke“. In der Crew-Messe prahlte er damit, wieviele Frauen er bereits im Bett gehabt hätte. In Alexandria saß ich beim Frühstück mit Laura und David zusammen. Die beiden diskutierten, ob es in Ägypten weibliche Genitalverstümmelung gäbe. David fand die Bemerkung lustig: „Wir könnten ja Lauras Genitalien verstümmeln.“😮 Am Strand von Bodrum: Lisa, eine ebenso nette wie hübsche und junge neue Kollegin aus der Ausflugsabteilung, liegt auf einer Sonnenliege. David kommt mit nassen Badeklamotten aus dem Wasser und legt sich auf sie. Einfach so! Als ob es den Kurs „Zero Tolerance“ nie gegeben hätte. Dafür hätte er eine Strafanzeige wegen sexueller Belästigung verdient. Und das waren nur die Vorfälle, die ich selbst mitbekommen habe.
Das einzige, das so gar nicht zu ihm passen will, sind die zweieinhalb Streifen auf seiner Uniform. Der Gedanke, dass ein Vorgesetzter eine gewisse Vorbildfunktion haben sollte, scheint ihm noch nie gekommen zu sein. Die Personalnot bei den Shore Activities Managern muss noch größer sein als bei den Bikeguides.
Bikeguide bei TUI – ein Traumjob?
Absolut! Ich würde es auch sofort wieder machen. Trotz mühsamer Räderschieberei, altertümlicher Navis, fehlender Arbeitstools, wackliger Ladestecker und unkomfortabler Hardtails. Nur der Vorgesetzte sollte ein gewisses persönliches Format haben. Sonst wird der Traumjob ganz schnell zum Alptraum.