Wildschweine der Weltmeere

„Speed 2“? Nein, die MSC Armonia bei einer harten Landung😉

 

Willkommen bei der Chaos-Truppe!

Wie ihr wisst, ist es mein Traumjob, Radtouren auf einem Kreuzfahrtschiff zu führen. Nun gibt es ja nicht nur TUI, sondern auch noch andere Reedereien. Zum Beispiel die italienische MSC, mit vollem Namen Mediterranean Shipping Company. Sie hat noch mehr und noch prächtigere Schiffe als TUI. Und sie suchte einen Bicycle Leader, siehe https://www.careers.msccruises.com/#/vacancies/onboard-jobs/search?paramS=__3__13__1!

Ich habe mich natürlich sofort beworben. Das ging vollständig online und musste die aufwendigste Bewerbung meines Lebens sein. Und das waren einige😉 Das Bewerbungsportal wirkte hochprofessionell:


Ich durfte alle meine Zeugnisse und Unterlagen hochladen. Am wichtigsten waren natürlich meine Zertifikate. Dann hundert Fragen beantworten. Eine ganze Batterie an Online-Tests: Deutsch, Englisch, Textverständnis, Zahlen kombinieren, logisches Denken, Reaktionsfähigkeit, Multitasking, Werte und Vorstellungen u.a.m. Kaum war das glücklich geschafft, durfte ich per Video in jeweils 90 Sekunden drei Fragen in ebensovielen Sprachen beantworten, die aufgezeichnet wurden. Es folgte noch ein 45 Minuten langes Live-Video-Interview über Skype mit einem MSC-Personalverantwortlichen aus Sorrent namens Mario. Größtenteils auf Englisch mit Sprachtests in Spanisch, Italienisch und Französisch. Was soll ich sagen: Ich bekam eine Zusage!

Ein paar Wochen später hatte Mario für mich einen Einsatzplan erstellt: Aufstieg am 2. Dezember in Palermo auf die MSC Splendida mit Kurs auf die Vereinigten Arabischen Emirate. Dort sollte ich erst einmal eine Einführung bekommen, bevor es Mitte Januar mit der brandneuen MSC Seaside in die Karibik gehen sollte. Der Verdienst wäre etwas besser als bei TUI, aber ich hätte 250 € an die Uniform zahlen müssen und in einer Doppelkabine logiert. Arbeitsvertrag, Flugticket, Welcome-Aboard-Guide und alles Andere erhielt ich per E-Mail. Darunter auch ein Formular, mit dem ich den Erhalt des Beschwerdeprozederes (eine spezielle E-Mail-Adresse: crewcomplain@mscsorrento.com) bestätigen musste. Hm. Hatten die so viele Beschwerden, dass sie dafür eine eigene Abteilung brauchten?

 

Besser ein Ende mit Schrecken …

Und warum blogge ich von einer beliebten Urlaubsinsel im Mittelmeer aus, statt die Weltmeere unsicher zu machen? Am Tag vor meiner Abreise, als ich gerade beginnen wollte zu packen, erreicht mich die folgende E-Mail:

Ich habe mich natürlich sofort bei der oben genannten Adresse beschwert (und auf einigen Internetportalen negative Bewertungen hinterlassen). Die Antwort war – eine Fehlermeldung: Sie hatten meine Mail-Adresse gesperrt😮 Was nützt eine Beschwerdestelle, die auf Tauchstation geht, wenn man sie einmal braucht? Erst ein Einschreiben an Gianluigi Aponte, den CEO in Genf, erbrachte eine Antwort. Natürlich kümmert der sich nicht selbst um Fußsoldaten wie meinereinen, sondern wies seinen Flottenpersonaldirektor namens Marco Maresca in Sorrent an, mir zu antworten:

I clarify to you that our Company, in completion of your profile and background, gathered more information about your previous background as bike leader and details which are not matching the position you applied for. Therefore, I’m here confirming you the decision previously communicated to do not proceed with your enrollment.

Das sagt auch nicht viel mehr aus als Marios Mail. Ich habe also Einsicht in meine Daten verlangt und dafür sogar ein italienisches Gesetz gefunden, das meinen Anspruch darauf belegt. Marco Maresca zeigte sich davon nicht beeindruckt, sondern weigerte sich und behauptete steif und fest, man hätte nur Daten von mir, die ich selbst eingegeben bzw. hochgeladen hätte. Sonderlich glaubwürdig war das nicht:

  • MSC stellt jedes Jahr tausende neue Crewmitglieder ein und hat dafür das oben bereits geschilderte ausgefeilte Bewerbungsportal entwickelt, das alle Kandidaten auf Herz und Nieren durchleuchtet. Warum sollte dieses zu falschen Entscheidungen führen?
  • Warum sollte eine etablierte Firma, die genau definierte Prozeduren hat, die Qualifikationen eines Bewerbers für eine ziemlich unwichtige Position noch einmal überprüfen, nachdem sie sich entschieden, ihm zugesagt, seinen Einsatz geplant, ihm den unterschriebenen Arbeitsvertrag zugeschickt und das Flugticket gebucht hat?
  • Warum sollte sie bei einer zweiten Auswertung derselben Daten zum genau entgegengesetzten Schluss kommen?
  • Wenn die Firma nichts zu verbergen hat, warum weigert sie sich dann hartnäckig, mir meine Daten zu geben? Erst recht, wenn sie sogar gesetzlich dazu verpflichtet ist?

 

… als ein Schrecken ohne Ende

Ich konnte mir leicht ausrechnen, dass eine Reederei, die dermaßen mauert, etwas zu verbergen hat. Sie hat damit erst recht meine Neugier geweckt. Wäre ich wie geplant aufgestiegen, wäre ich womöglich nie auf die Idee gekommen, Tante Google zu fragen. Von der fehlenden Zeit und der fraglichen Internet-Verbindung an Bord ganz zu schweigen. Was ich erfuhr, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Da taten sich Abgründe auf, tiefer als der Marianengraben😮

  • Auf der MSC Musica fielen im Hafen von Rio de Janeiro aufgrund eines Feuers im Maschinenraum sowohl die Klimaanlagen als auch die Wasserversorgung aus. Was den Kapitän nicht davon abhielt, mit 3.100 Gästen ablegen zu wollen. Erst als 50 beherzte Passagiere zur Selbsthilfe schritten und die Gangway besetzten, wurde die Reise abgesagt und das Schiff repariert.
  • Die MSC Opera trieb nach einem Maschinenschaden einige Tage manövrierunfähig auf hoher See. Gäste berichteten von Stromausfällen, kaltem Essen und Wasser und defekten Klospülungen. Das Schiff musste abgeschleppt und repariert werden. Danach wurde es von der britischen Küstenwache beschlagnahmt, weil es noch immer „dangerously unsafe“ war. MSC sprach von „Gerüchten“…
  • Kaum waren Kreuzfahrtschiffe in Venedig wieder zugelassen, riss die MSC Preziosa als erster einlaufender Kahn eine Passagierbrücke mit.
  • Ebenfalls in Venedig fand ein Security-Mitarbeiter der MSC Magnifica im Metalldetektor eine geladene Pistole. Beim Herumhantieren löste sich ein Schuß. Verletzt wurde niemand, aber ein Gast fiel in Ohnmacht, und es brach Panik aus.
  • Auf der MSC Musica wurde eine 28jährige brasilianische MSC-Angestellte von ihrem polnischen Freund, der an der Bar arbeitete, erdrosselt.
  • Auf der MSC Orchestra erkrankten vier Crew-Mitglieder an Meningitis. Ein Maschinist starb.
  • Ein südafrikanischer Gast auf der MSC Sinfonia erlitt einen Herzanfall, bekam im Bordkrankenhaus lediglich eine Spritze, wurde mit einem Zettel (vermutlich am großen Zeh) auf einer Bahre im Hafen zurückgelassen, lag sechs Wochen im Koma und ist seither arbeitsunfähig. MSC stellte sich auf den Standpunkt, die Ärzte seien selbständig und die Reederei deswegen nicht haftbar. Ein Gericht hat diese Bestimmung inzwischen für unzulässig erklärt.
  • Acht Besatzungsmitglieder der MSC Orchestra versuchten, 35 kg Kokain von Brasilien nach Dover zu schmuggeln. Sie wurden zu zwölf bis 20 Jahren Haft verurteilt.
  • Auf der MSC Magnifica waren es zwei Crew-Mitglieder, die 10 kg Stoff von Brasilien nach La Coruña, Spanien, schmuggeln wollten und dafür zu sieben Jahren verurteilt wurden.
  • Der Skandal um die berühmt-berüchtigte illegale Müllentsorgung schlug weltweit Wellen: Auf der MSC Magnifica und der MSC Poesia (und möglicherweise auch anderen Schiffen) wurden einmal pro Woche bei Nacht und Nebel Abfallsäcke, zerkleinerte Paletten und wer weiß was noch über Bord geworfen. In einem Fall vor der brasilianischen Küste betrug die Buße umgerechnet über 500.000 €. Wer soviel bezahlt, kann schon mal auf die Idee kommen, sich in PR-Mitteilungen zum „Hüter der Meere“ aufzuschwingen…
  • Ein anderes Besatzungsmitglied verging sich auf einem nicht genannten MSC-Schiff an einem zwölfjährigen Mädchen und muss sich ebenfalls vor Gericht verantworten.
  • Zum Abschluss dieser Horror-Liste wenigstens noch etwas zum Schmunzeln: Die MSC Musica „raste“ mit über 8 statt der erlaubten 6 Knoten (15 bzw. 11 km/h) in den Hafen von Kotor, Montenegro, hinein und musste insgesamt 1.700 € Buße bezahlen😂 Entweder hatte der Wasserspiegel ein Gefälle, oder der Kapitän war besonders renitent, denn es war bereits seine fünfte Geschwindigkeitsüberschreitung in der gleichen Saison😮 Ein Wunder, dass der Hafen heil blieb😉

Die Reederei mag nicht an jedem einzelnen Vorfall die direkte Schuld tragen. Aber für mich sind das zu viele Vorkommnisse auf einmal, insbesondere auch im Vergleich zu TUI oder AIDA. Da scheint mir ein systematischer Fehler dahinterzustecken. Irgendwie scheinen auch die meisten Gäste mit MSC nicht zufrieden zu sein. Warum wundert mich das nicht? Selbst auf der brandneuen MSC Seaside beschwerten sie sich über die Organisation an Bord, das Essen, das Entertainment und penetrante üble Gerüche. Und zwar im Atrium😮


Die Sache mit den Daten

Aber zurück zu mir. MSC wollte also meine Daten partout nicht herausrücken. Nachdem ich Marco Maresca empfohlen hatte, mit seiner Rechtsabteilung Rücksprache zu nehmen, kriegte ich sie zwar noch immer nicht. Dafür eine Wiedergutmachung von 912,52 €😊 Nach einem Nachhaker und zwölf Tagen war das Geld tatsächlich da. Dafür muss ein Bikeguide lange strampeln😉

Am 25. Mai 2018 trat die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft. Die gilt natürlich auch für MSC. Wer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, kann sogar mit Bußgeldern belegt werden. Nicht zuletzt deshalb geschah ein kleines Wunder: Mit nur zwei Tagen Verspätung gegenüber der vom Gesetz vorgegebenen Frist rückte die Datenschutzbeauftragte Theresa Dragan meine Daten tatsächlich heraus. Zumindest teilweise. Es fehlte nämlich nicht nur mein Arbeitsvertrag, sondern auch irgendein Hinweis auf die 180°-Kehrtwende. Alles Andere hätte mich auch gewundert. Immerhin erfuhr ich so meine Testergebnisse:

Das glaubt mir kein Mensch…

In Schulnoten ausgedrückt waren das vier Einsen, zwei Zweien, eine Drei und eine Vier. Macht einen Durchschnitt von 1,875. Und zwar nicht im Vergleich zu normalen Bikeguides, sondern zu Offizieren im untersten Rang. Wenn David das wüsste😉


Happy End

Das ist aber noch nicht alles. Mein Chef auf der MSC Seaside wäre Bostjan gewesen. Er war zuvor für TUI gefahren. Bis er von Bord flog. Warum? Wegen überhöhten Alkoholkonsums😮 Da hatte ich ja noch einmal Glück gehabt, dass dieser Kelch an mir vorüberging😊 Auf David II. hätte ich nun wirklich keine Lust gehabt😉

Vielleicht wollte Bostjan seinerseits in diesem Blog nicht die Hauptrolle spielen. Möglicherweise hat er deshalb MSC vor dem „bösen Blogger“ gewarnt. Diese Chaos-Truppe muss ja Publizität fürchten wie der Seeteufel das Süßwasser😉 Dabei wollte ich endlich einmal über fähige Vorgesetzte, partnerschaftliches Miteinander, professionelle Ausrüstung, hohe Sicherheit und effiziente Abläufe an Bord schreiben😉

Aber da war ich bei MSC an der falschen Adresse. Da arbeiten Trunkenbolde, Drogenschmuggler, Sklavenhalter, Umweltverschmutzer, Raser, Vandalen, Kurpfuscher, Mörder, Kinderschänder und Lügner. Langsam verstehe ich, was Marco Maresca damit gemeint hat, dass ich ungeeignet sei😉