Oder: Es kann der Frömmste nicht in Frieden arbeiten, wenn es dem bösen Boss nicht gefällt
Soziopathen sind Menschen mit einer „antisozialen“ Persönlichkeitsstörung. Sie verhalten sich meist manipulativ, skrupellos, hinterhältig sowie ohne jedes Mitgefühl. Grund dafür ist ihr kaum bis gar nicht vorhandenes Einfühlungsvermögen. Bei der gefährlichsten Form hat der Soziopath Lust daran, andere Menschen zu verletzen, zu quälen oder zu unterwerfen, um seine Ziele zu erreichen. Weil das nicht erlaubt und dem Soziopathen bewusst ist, findet er meist Wege, sein rücksichtsloses und egoistisches Wesen im Verborgenen auszuleben. Das macht es so schwer, Soziopathen zu erkennen. Sie tarnen ihren dunklen Charakter oft durch Charme und Charisma und [hinter] einer freundlichen Fassade. Dennoch fehlt ihnen jedes Schuldbewusstsein. (https://karrierebibel.de/soziopath/)
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Auf der Suche nach einer neuen Stelle stiess ich auf die Ausschreibung für einen Disponenten bei SBB Cargo an deren Hauptsitz in Olten. Der nächste Schritt nach meiner Bewerbung war ein Videointerview mit der HR-Partnerin. Es verlief erfreulich, abgesehen vom dem verwirrenden Echo in meinem Kopfhörer. Kurz darauf durfte ich einen Online-Assessment-Test machen. Dieser umfasste nebst einem Persönlichkeitstest diverse Aufgaben: Textverständnis, logisches Denken, Erkennung von Abweichungen in Buchstaben- und Zahlenkolonnen, Ergänzung von Zahlenreihen und eine praxisbezogene Planungsaufgabe, die darin bestand, Wagenzüge unter zahlreichen Nebenbedingungen (Länge, Höhe, Fahrdraht, Zeiten usw.) auf verschiedene Gleise zu verteilen. Dabei lief natürlich stets die Stoppuhr. Das Minimum lag bei 0, das Maximum bei 100, der Mittelwert aller Testteilnehmer bei 50 und mein Ergebnis bei 92,9.
Dann blieben meine Unterlagen erst einmal fast zwei Monate beim künftigen Vorgesetzten Mathias Pichol in Olten liegen. Wenn ich nicht nachgehakt hätte, wären sie dort wohl noch heute. (Im Nachhinein betrachtet wäre das vermutlich besser gewesen.) Beim Vorstellungsgespräch stellte er keine Fragen, sondern gab mir eine kurze PowerPoint-Präsentation und setzte mich zeitweise zum einen oder anderen Mitarbeiter, damit ich sehen konnte, was die taten. Beim nachfolgenden Vieraugengespräch verriet er mir lachend, dass in seiner Stellenbeschreibung Französischkenntnisse vorausgesetzt würden, er über solche aber nicht verfügte und deswegen einen Kurs belegen sollte, an dem er grandios gescheitert sei. Natürlich kam auch das Thema „Gehalt“ zur Sprache. Ich verriet wahrheitsgetreu, was auf meinem railCare-Lohnzettel gestanden hatte, und er legte grosszügig noch einmal Fr. 2‘000 pro Jahr drauf. Bingo!
Aussen hui, innen uiuiui…
Wenig später durfte ich erneut antanzen. Das nannte sich „Tourenbegleitung“ und bedeutete, dass ich zwei volle Schichten mit den künftigen Kollegen mitmachen sollte. Unbezahlt, versteht sich. Weil Güterzüge rund um die Uhr rollen, arbeitet auch die Dispo 24 Stunden im Dreischichtbetrieb. Für mich hatte er die Frühschicht von 4.30 Uhr bis 12.30 Uhr festgelegt. Für einen ehemaligen Cargo-Lokführer kein Problem. Für andere schon: Wie ich dabei erfuhr, hatte Mathias Pichol kurz zuvor einen neuen Mitarbeiter eingestellt, der nach der ersten Nachtschicht gemerkt hatte, dass er doch lieber tagsüber arbeiten wollte. (Zu allem Überfluss hatte er dies seinem Teamleiter nicht etwa selbst mitgeteilt, sondern nur einem Kollegen. Mathias Pichol muss das persönlich genommen haben.) Klare Sache, dass ich nicht abseits sass, um mit meinen Freunden zu chatten, sondern bei der Sache war, Interesse bekundete und Fragen stellte. Gegen Ende der zweiten Schicht fragte er die Kollegen, die ich begleitet hatte, nach ihrem Eindruck, und als diese sich positiv äusserten, bekam ich eine Zusage.
Und gleich die erste kalte Dusche. Das in seiner E-Mail genannte Gehalt war nämlich plötzlich satte Fr. 8‘500 tiefer als zehn Tage zuvor besprochen! Sofort Mathias Pichol angerufen: Das Gehalt sei von der Personalabteilung aufgrund der Anforderungen an die Stelle, meines Alters und meiner Eisenbahnerfahrung festgelegt worden. Ein Vorgesetzter, der nicht weiss, wer das Salär bestimmt, und falsche Versprechungen macht? Er konnte noch Fr. 500 aufrunden, aber das war das Ende der Fahnenstange. Freilich war das Gehalt noch immer anständig.
Unter Beobachtung
Deshalb freute ich mich trotzdem auf meine neue Stelle. Drei Wochen später ging es los. Mit mir starteten zwei andere Neulinge, die jeweils nur eine Probeschicht hatten absolvieren müssen. Der eine hatte die Angewohnheit, allen bei der Begrüssung und beim Abschied die Hände zu schütteln. Er tat dies als einziger. Bei den Schichtwechseln, wenn es am hektischsten war, kamen und gingen jeweils so viele Kollegen, die sich zudem noch gegenseitig auf den neuesten Stand bringen mussten, dass ein Chaos die Folge gewesen wäre. Zudem war es Spätherbst, die Grippewelle war im Anmarsch, und die aufgestellten Hand-Desinfektionsgeräte wurden kaum benutzt.
Zunächst mussten wir alle Informatik-Tools kennenlernen. Das waren schätzungsweise zwei Dutzend: Teams, Outlook, Excel, LEAprint, Caros, Betrieb Live, ALEA, NeTS, ZIS-Cargo, ORCA, Verbes, ContactPro, IVU, Sharepoint, Fiori-Portal, E-Forms, Vektor, DiMa, Dispokarte, Rail4, RCS-Dispo, Infosystem und Planica. Eines sollte wenig später abgeschaltet und durch ein anderes ersetzt werden. Bei dieser Gelegenheit hat man gemerkt, dass eine halbe Million Sendungen nicht richtig erfasst und folglich auch den Kunden nicht in Rechnung gestellt worden waren. Die Kollegen, die das unter Zeitdruck in Ordnung bringen mussten, waren nicht zu beneiden.
Und dann gab es noch das „Loktaxi“: Ein Lokführer aus Lausanne muss nachts in Vevey einen Zug von Bern ins Wallis übernehmen, und der abgelöste Kollege muss von Vevey nach Lausanne. Ein Taxi für die zweimal 35 km wäre zu teuer. Deshalb fährt der eine mit einer Lok ohne Wagen hin und der andere damit wieder zurück. Soll noch einer sagen, SBB Cargo würde keine Personen befördern. Allerdings müssen sie selbst fahren.
Meine Aufgabe bestand darin, die sogenannten Lokumläufe zu planen. Das heisst festzulegen, welche Loks welche Züge ziehen sollen. Das ist gar nicht so einfach, wenn man nicht weiss, auf welchem Gleis sie stehen. Ausser im Rangierbahnhof Limmattal bei Zürich herrschte in allen anderen Depots das Chaos, offiziell „Haufenmanagement“ genannt: Die dortigen Kollegen spannten zwar den richtigen Loktypen vor den gewünschten Zug, aber nicht eine bestimmte Loknummer. Wenn die aber später in die Werkstatt musste, hatten wir keine Wahl als zu warten, bis sie sich in Bewegung setzte, weil wir nur so die Loknummer erfuhren.
So richtig rund läuft es hier nicht.
Als verantwortungsvoller Mitarbeiter liess ich mich gegen Grippe impfen. Weil das im Interesse der SBB lag, die den Krankenstand möglichst tief halten wollte, beteiligte sie sich an den Kosten. Dazu musste ich ein Spesenformular elektronisch einreichen. Da die stationären PCs während der Arbeitszeiten im Einsatz waren, konnte ich das nur tun, als gerade einer der ebenfalls rege benutzten Reserve-Laptops verfügbar war. Der Versuch dauerte nur ein paar Minuten und scheiterte an einer fehlenden Zugangsberechtigung. Dummerweise hatte ein Kollege bereits mit der Vorstellung seiner Tätigkeit begonnen, bevor ich damit fertig war. Er war nur drei Meter entfernt, so dass ich nichts verpasste. Wie es der Zufall wollte, kam genau in diesem Moment Teamleiter Mathias Pichol vorbei und ermahnte mich, dem Vortrag des Kollegen zu folgen. Seine Aufgaben waren die Vorplanung und die Nachbearbeitung. Mit beidem hat ein Disponent wenig zu tun. Ich tat natürlich wie geheissen. Nun hatte er seinen elektrisch verstellbaren Schreibtisch auf Stehhöhe angehoben, und ich bevorzugte einen Stuhl. Beides bewog den Vortragenden, sich über mangelndes Interesse meinerseits zu beschweren. Er war nicht auf die Idee gekommen, die anderen zu fragen, ob sie parat seien oder ob ihnen Stehen recht sei. Dass er cholerisch veranlagt war, konnte ich zum jenem Zeitpunkt noch nicht wissen.
Wenige Tage später nahm Mathias Pichol mich zu einem Vieraugen-Gespräch beiseite. Er hielt mir vor, ich sei ein „Eigenbrötler“, weil ich nicht mit den anderen zum Mittagessen in die Kantine gehen würde. Ich hielt dem entgegen, dass wir nicht zum gemütlichen Beisammensein hier seien, sondern zum Arbeiten. Er widersprach, konnte aber kein Gegenargument nennen. Als nächstes kritisierte er, dass ich den Kollegen nicht die Hände schütteln würde. Ich fragte mich, ob er den anderen 29 nicht händeschüttelnden Kollegen dasselbe vorwarf. Ausserdem solle ich kein Käppi tragen, obwohl ich vom Luftzug der Klimaanlage aufgrund meiner fehlenden Kopfhaare leicht heiser wurde. Bei einem sehr jungen Kollegen, dessen Haupt durchaus bewachsen ist, störte es ihn ebenso wenig wie bei einer muslimischen Mitarbeiterin. Dass der Verhaltenskodex der SBB, den er mit seiner Unterschrift unter den Arbeitsvertrag als verbindlich anerkannt hatte, Diskriminierung aufgrund von Alter, Geschlecht oder Religion verbietet, schien ihn nicht zu kümmern. Dass ich meine Spesen geregelt haben wollte, weil ich Kleinigkeiten am liebsten sofort erledige, fasste er nicht als Zeichen von produktivem Arbeiten auf, sondern als mangelndes Interesse an meiner Tätigkeit und falsches Setzen von Prioritäten. Offenbar hatte ihm ein unbeherrschter Gefühlsausbruch des vortragenden Kollegen mächtig Eindruck gemacht. (Zum Glück hatte er nicht mitbekommen, dass ich kurz darauf ein weiteres Formular, nämlich dasjenige für die Quellensteuer, ausgefüllt hatte. Wer weiss, was sonst passiert wäre…) Vor allem aber erfuhr ich bei dieser Gelegenheit, dass man mit einem anderen neu eingestellten Mitarbeiter schlechte Erfahrungen gemacht hätte, und ich erinnerte ihn offenbar an diesen. Wörtlich sagte er: „Wehret den Anfängen.“ Was der andere falsch gemacht haben soll, und worin die Gemeinsamkeiten zu mir bestehen sollten, verriet er freilich nicht, so dass diese Information für mich wertlos war.
Es ging noch weiter. Ich hatte in meinem Leben bereits einige Tätigkeiten in verschiedenen Branchen ausgeübt und mit noch mehr verschiedenen IT-Tools gearbeitet. Das ging so weit, dass meine früheren Kollegen ziemlich rasch darauf kamen, dass sie bei PC-Problemen stets zuerst mich fragten. Der Chef eines KMUs hatte mich dank meiner Computerkenntnisse sogar zum IT-Verantwortlichen gemacht. Umso erstaunter war ich, dass irgendeiner meiner neuen SBB-Kollegen dem Chef gegenüber geäussert haben soll, ich hätte von PCs keine Ahnung. Für mich grenzte das an Mobbing. Mathias Pichol, der meinen Lebenslauf kannte, war nun nicht etwa auf die Idee gekommen, dem Urheber dieses Gerüchts den Kopf zu waschen, sondern betrachtete diesen offenbar als willkommenen „Munitionslieferanten“.
Nur nicht den Überblick verlieren…
Aber das war noch immer nicht alles. An einem Nachmittag hatten wir die Wahl zwischen Selbststudium oder – wie meist – den Kollegen über die Schulter schauen. Da wir für letzteres noch wochen- und monatelang eingeplant waren, entschied ich mich für ersteres, weil ich mich so intensiver mit den zahlreichen Softwaretools von SBB Cargo beschäftigen und schneller lernen konnte. Was mir mein Teamleiter prompt vorhielt. Es schien nichts zu geben, was er nicht gegen mich verwendete. Zum Mobbing kam also nun auch noch Bossing.
Er verstieg sich in völliger Verkennung der Realität sogar zu der Frage, ob ich zu Hause Probleme hätte. Dabei traf genau das Gegenteil zu: Ich war erst seit kurzem mit der Frau meines Lebens verheiratet, schwebte noch immer auf einer rosaroten Wolke, und als Krönung unseres Glücks erwarteten wir zu jener Zeit unser Baby. Immerhin zerriss er das vorbereitete Besprechungsprotokoll, statt es mich unterschreiben zu lassen und in meine Personalakte zu legen. Darin befand sich offenbar ein Ausdruck, den er sich selbst nicht getraute, mir an den Kopf zu werfen. Dafür erhielt ich einige Tage später per E-Mail eine Art Protokoll unserer Unterredung. Darin wiederholte er seine Vorwürfe, als ob wir nie darüber gesprochen hätten. Ich entkräftete sie also erneut und fügte hinzu, dass ich von einem Vorgesetzten erwarten würde, dass er ungerechtfertigter übler Nachrede entschieden entgegentreten würde, statt sie sich unreflektiert zu eigen zu machen.
Da meine Frau aus dem Ausland stammte und noch kaum Deutsch sprach, musste ich sie zu ihren regelmässigen Kontrolluntersuchungen bei der Frauenärztin begleiten. Ich versuchte, die Termine so zu legen, dass die Arbeit so wenig wie möglich darunter litt. Das gelang nur teilweise. Der erste Termin war zwar um 7.15 Uhr, und ich hatte Mathias Pichol und den anderen beiden Neulingen am Vortag Bescheid gegeben, dass ich tags darauf etwas später eintreffen würde. Der Chef war einverstanden. Als wir um 8.18 Uhr bei Frau Doktor fertig waren, schrieb ich in unsere WhatsApp-Gruppe, dass ich so rasch wie möglich kommen würde. Mathias Pichol fragte sogleich zurück, warum er von diesem Termin nichts wüsste? Ich war zwar um 9.00 Uhr an meinem Arbeitsplatz, las seine Nachricht aber erst in der Mittagspause und antwortete sogleich, dass ich ihn informiert und er es vergessen hätte. Ich zeigte ihm das Terminkärtchen der Ärztin, und er speicherte den nächsten, der wiederum sehr früh am Morgen stattfand, sogar in seinem Planungstool IVU. Damit glaubte ich mich auf der sicheren Seite.
Seit dem unerfreulichen Gespräch mit Mathias Pichol wusste ich, dass ich „unter Beobachtung“ stand. Deshalb trug ich kein Käppi mehr, war dafür des Öfteren heiser, reichte keine Spesenbelege mehr ein, schüttelte dem anderen Neuling und Mathias Pichol die Hände, unternahm keine anderen Aktivitäten während der Vorträge von Kollegen, sass nicht mehr, wenn die Anderen standen und ging sogar mit den Kollegen in die Kaffeepause, obwohl ich gar keinen Kaffee trinke. Ich war voll motiviert, konzentriert und mit Eifer bei der Sache und dachte stets mit, um schnell zu lernen und so rasch wie möglich produktiv arbeiten zu können. Bei Meetings war ich derjenige, der sich gemeldet und Fragen gestellt hat. Keine Ahnung, was ich sonst noch hätte tun sollen oder können. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass ich auf verlorenem Posten stand, egal, was ich tat.
Überrumpelt aus dem Hinterhalt
Deswegen hatte ich zwar ein ungutes Gefühl, aber kein schlechtes Gewissen, als Mathias Pichol mich fünf Wochen nach Arbeitsbeginn zu einem weiteren Gespräch einlud, diesmal im Beisein einer Personalfrau. Krankheitsbedingt seinerseits fand es noch einmal eine Woche später statt. Um es kurz zu machen: Ich wurde entlassen! Nein, es war nicht „versteckte Kamera“. Er wiederholte seine haltlosen Vorwürfe und behauptete, es sei keine Verbesserung meinerseits eingetreten: Meine Leistungen seien ungenügend, auch im Vergleich zu meinen anderen Kollegen, die mit mir angefangen hatten, ich hätte zu wenig Teamgeist, zu wenig Interesse und zu wenig Engagement, man hätte in der Vergangenheit mit einem anderen Mitarbeiter ähnlich schlechte Erfahrungen gemacht, und ich hätte gesagt, dass ich Schicht- und Nachtarbeit nicht mochte.
Natürlich alles erstunken und erlogen. Fangen wir mit dem letztgenannten Vorwurf an: Wenn dem so wäre, hätte ich mich erst gar nicht für eine Stelle im 24-Stunden-Schichtdienst beworben. Die Nachtschichten waren sogar sehr beliebt: Erstens ist es ruhig, zweitens bekommt man Zulagen, und drittens bekommt man zusätzliche Freizeit. Und selbst wenn ich geäussert haben sollte, dass ich Schichten oder etwas Anderes nicht mochte, wäre das kein Kündigungsgrund. Es verging kein Tag, an dem sich nicht irgendein Kollege über irgendetwas aufgeregt und meist sehr lautstark beschwert hätte. Wäre jeder dafür entlassen worden, wäre die Abteilung bald verwaist.
Davon abgesehen war ich wie die anderen Neulinge noch mitten in der Einarbeitung und konnte noch gar nicht selbstständig arbeiten. Wie wollte er da nach fünf Wochen meine Leistungen messen? Er nannte noch nicht einmal Kriterien, woran er diese angebliche Schlechtleistung festgemacht haben wollte. Für unsere Einarbeitung waren vier Monate vorgesehen, und er hatte zuvor verlauten lassen, dass zum Ende der Probezeit nach drei Monaten eine Standortbestimmung stattfinden würde, aber dass es völlig belanglos sei, wenn wir länger bräuchten. Ich fand, dass ich schon ziemlich weit war. Wo ich im Verhältnis zu meinen Kollegen stand, konnte ich nicht beurteilen, aber zumindest der händeschüttelnde Kollege hatte mir verraten, dass er im Bewerbungsprozess die eingangs erwähnte „spannendste“ Aufgabe, Züge unter verschiedenen Nebenbedingungen auf verschiedenen Gleisen abzustellen, nicht geschafft hätte. Und er sollte nun plötzlich schneller lernen als ich?
Demgegenüber hatte ich meinen grössten Erfolg just zehn Minuten vor der Kündigung, indem ich mit dem neuen IT-Tool ORCA, für das niemand eine Einweisung bekommen hatte und mit dem sich auch die erfahrenen Kollegen nicht auskannten, weitgehend selbstständig einen Schleppauftrag für eine defekte Lok erstellt hatte. Darauf war ich nicht unstolz. Aber es interessierte Mathias Pichol nicht. Meine Argumente prallten an ihm ab. Alles, was ihm dazu einfiel, war: „Die Entscheidung ist nun mal so.“ Die Personal-Frau war auch keine Hilfe, sondern lediglich Erfüllungsgehilfin. Als ich meinen Wunsch äusserte, mit dieser unter vier Augen zu sprechen, war Mathias Pichol sichtlich verunsichert. Offenbar befürchtete er, dass sie etwas Vertrauliches ausplaudern könnte. Das tat sie natürlich nicht. Aber sie schien sein linkes Spiel auch nicht zu durchschauen, und eine interne Versetzung sei nicht einmal diskutiert worden. Die Kündigungsfrist während der Probezeit betrug eine Woche, und während dieser war ich freigestellt. Und das gerade jetzt, wo meine schwangere Frau keinen Stress gebrauchen konnte.
Es dauerte ein paar Tage, bis ich den Zusammenhang hergestellt hatte: Mit „schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit“ hatte Mathias Pichol den vor mir eingestellten anderen Kandidaten gemeint, der sich nach der ersten Nachtschicht anders entschieden hatte. Ein Vorgesetzter sollte eigentlich ein „dickes Fell“ haben, aber dieser Vorfall schien ihn traumatisiert zu haben. Deshalb hatte er so empfindlich auf das Gerücht reagiert, wonach auch ich Probleme mit Nachtschichten hätte. Dass ich bei der DB und bei railCare klaglos jahrelang nachts gefahren war, und dass ich bei ihm zwei Nächte unbezahlt probegearbeitet hatte, zählte demgegenüber nicht.
Weil ein Unglück selten allein kommt, musste ich auch noch einen Monat auf mein letztes Gehalt warten. Und weil aller schlechten Dinge drei sind, sandte er gleich noch ein Arbeitszeugnis hinterher, dessen Krönung der Satz war: „Er hatte teilweise Schwierigkeiten, eine positive Grundeinstellung zu zeigen.“ Wir einigten uns zwar auf eine Kompromissversion, aber selbst die stand in starkem Kontrast zu sämtlichen vorhergehenden Arbeitszeugnissen. Die Episode bei den SBB hat meinen Lebenslauf für immer verunstaltet.
Das hiess, ich durfte noch weniger wählerisch sein, was einen neuen Job anging. So hatte ich mich erneut bei den SBB beworben. Diesmal als Cargo-Lokführer, und siehe da, man war an mir interessiert. Zumindest hatte ich einen Termin für ein Videointerview mit einer HR-Partnerin. Die sagte mir allerdings noch vor dem Termin wieder ab. Schlimm genug, aber die Begründung konnte sich mit den falschen Behauptungen von Mathias Pichol durchaus messen: Sie hätte meine Eignung aufgrund verschiedener Kriterien beurteilt und dabei Kandidaten bevorzugt, die diese noch besser erfüllen würden. Normalerweise prüfen die Arbeitgeber die Eignung eines Kandidaten, bevor sie ihn zum Interviewtermin einladen. Sie listete die Kriterien sogar auf: Zeitpunkt der letzten berufsbegleitenden Aus-/Weiterbildung, Erfahrung mit unregelmässigen Arbeitszeiten, bisherige berufliche Erfahrungen, Nähe zum Arbeitsort, Affinität zur Technik und Sprachkenntnisse. Unnötig zu sagen, dass ich alles erfüllte. Und nie wieder von ihr gehört habe. Sie konnte ja schlecht zugeben, dass mein Personaldossier mit einer roten Flagge markiert war und sie diese erst bei der Vorbereitung des Video-Interviews gesehen hatte. Ach ja: Einen Disponenten suchten sie noch ein Jahr später, und an Lokführern herrscht ohnehin chronischer Mangel.
Ich stellte einige Nachforschungen an. Dabei fand ich heraus, dass Mathias Pichol bei seinem früheren Arbeitgeber, den Basler Verkehrsbetrieben (BVB), zusammen mit einem „Mitverschwörer“ jahrelang Zahlen zum Personalbestand und –bedarf gefälscht hatte. An den Folgen knabberten die BVB noch sechs Jahre später. Als die Geschäftsführung den beiden auf die Schliche kam und Mathias Pichol merkte, dass es für ihn eng wurde, kam er nicht etwa zur Einsicht, zeigte Reue oder gelobte Besserung. Im Gegenteil: Er verschwand durchs Fenster und wurde nie wieder gesehen! Um eine Kündigung seitens der BVB zu vereiteln, täuschte er einen Burn-out vor und hatte keine Skrupel, die Sozialsysteme zu missbrauchen, solange er konnte. Erst dann begann er wieder zu arbeiten. Wie er zu den SBB und noch dazuhin in eine Führungsposition gelangen konnte, bleibt im Dunkeln. Vermutlich dank seiner schauspielerischen Talente. Durch Arbeitseifer, Fleiss oder Einsatz fiel er jedenfalls nicht auf.
Wir sehen uns vor Gericht
Natürlich habe ich mich über die Rechtslage informiert. Die sah für mich erst einmal schlecht aus: In der Schweiz kann ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer grundsätzlich jederzeit entlassen. Erst recht in der Probezeit. Es gibt zwar einen Paragraphen (Artikel 336b des Obligationenrechts), der sich „missbräuchliche Kündigung“ nennt, und der nicht abschliessend formuliert ist. Aus meiner Sicht hatte ich genug Argumente für die Missbräuchlichkeit meiner Kündigung.
Allerdings kann man hierzulande auch nicht einfach so klagen. Zuerst musste ich vor dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses Widerspruch gegen die Kündigung einlegen. Das waren gerade mal meine sieben Freistellungstage, und ich hatte bereits fünf davon gebraucht, um das herauszufinden. Flugs hingeradelt und mein Schreiben am Empfang gegen Unterschrift abgegeben. Die Ablehnung, unterschrieben von Mathias Pichols Vorgesetztem, folgte wie erwartet auf dem Fuss.
Die war die Voraussetzung, um an das zuständige Zivilgericht Olten-Gösgen zu gelangen. Klagen konnte ich freilich noch immer nicht. Als nächstes hatte nämlich eine Schlichtungsverhandlung stattzufinden. Die verlangt, dass die Parteien persönlich anwesend sind. Nun war ja mein Gegner eine juristische Person. Sie hätte jemanden schicken müssen, der einzelzeichnungsberechtigt war, das heisst im Handelsregister stand. Tat sie aber nicht. Es kam eine mir bisher nicht bekannte Personalfrau und, wie zu befürchten, Mathias Pichol selbst. Als er mich sah, tat er so, als ob nichts wäre: Er stand auf, fragte, wie es mir ginge („schlecht“), und wollte mir die Hand geben. Vermutlich verstand er nicht, warum ich sie ausschlug. Der Richter machte mir wenig Hoffnung, dass ich Forderungen aufgrund von Missbräuchlichkeit geltend machen könne. Aber es gab auch eine gute Nachricht: Er hat nämlich festgestellt, dass die SBB meine sieben Freistellungstage nicht einfach mit den mir zustehenden verbleibenden Ferientagen verrechnen konnten. Sie haben mir tatsächlich Fr. 1‘100 plus Verzugszinsen nachbezahlt. Das heisst, der Aufwand hatte sich bereits gelohnt.
Allerdings war die wichtigste Frage, ob meine Kündigung nun missbräuchlich war oder nicht, damit noch nicht geklärt. Also eine Klageschrift mit 20 Seiten und 25 Anhängen in zwei Exemplaren verfasst, warum meiner Ansicht nach ersteres der Fall war, und warum mir eine Entschädigung zustand. Im schlimmsten Fall nicht, aber ich hatte nichts mehr zu verlieren. Ganz im Gegensatz zu Mathias Pichol: Meine Klageschrift mit zahlreichen Vorwürfen gegen ihn dürfte innerhalb der Firma die Runde gemacht haben. So erfuhren seine Kollegen im Führungsstab und die Personalabteilung endlich meine Darstellung der Ereignisse. Auch wenn sie ihn deswegen kaum absägen dürften, dürften sie so zumindest erkannt haben, was für einen Blender sie sich da angelacht hatten. Er dürfte intern unter erheblichen Rechtfertigungszwang geraten sein, und vielleicht „vergessen“ die SBB ihn bei der nächsten Gehaltserhöhung oder Beförderung. Gerichtskosten entstanden mir bis zu einem Streitwert von Fr. 30‘000 ohnehin nicht, weil sonst kaum jemand gegen Ex-Arbeitgeber klagen würde. Ich forderte eine Entschädigung von rund Fr. 7‘500. Das war exakt so viel, wie ich bis Ende der Probezeit verdient hätte, und entsprach nur einem Bruchteil des Verlustes, den er mir aus reiner Böswilligkeit zugefügt hatte.
Obwohl die SBB mit Sicherheit über eine eigene Rechtsabteilung verfügen, haben sie die externe Rechtsanwaltskanzlei Burckhardt aus Basel beauftragt. Das war für mich eine schlechte Nachricht, weil von dieser nicht nur keine Einsicht zu erwarten war, sondern auch, weil sie anders als ihr Mandant ein Interesse daran hatte, die Auseinandersetzung zu verkomplizieren, damit sie ihrem Auftraggeber möglichst viele Stunden in Rechnung stellen kann. Zunächst hat sie wegen angeblicher Terminnot nicht weniger als drei Fristverlängerungen für ihre Antwort auf meine Klageschrift beantragt und auch bekommen.
Was dann folgte, war nicht viel besser. Die Klageantwort war zwar sehr umfangreich, aber inhaltlich dafür umso dünner. Viel mehr als die pauschalen Vorwürfe erneut aufzuzählen, meine Argumente zu bestreiten und alles dreimal zu wiederholen war dem hochbezahlten Anwalt nicht eingefallen. Wie auch, wenn die SBB keine stichhaltigen Argumente hatten. Dafür druckte er völlig unnötig den gesamten, online verfügbaren Gesamtarbeitsvertrag mit über 80 Seiten aus und legte ihn bei. Dazu einige der von mir bereits eingereichten Anhänge. Offenbar rechnete er gegenüber seinen Mandanten nicht nach Arbeitsstunden, sondern nach der Anzahl ausgedruckter Seiten ab. Ausserdem beantragte er eine Parteientschädigung zu meinen Lasten, schien aber dabei zu vergessen, dass bei mir nichts zu holen sein könnte, nachdem sein Auftraggeber meine wirtschaftliche Existenz ruiniert hatte.
Besonders bemerkenswert war, dass Mathias Pichol, der sich sonst bei jeder Gelegenheit auf Rückmeldungen von seinen Untergebenen berief, über die Anwaltskanzlei keinen einzigen seiner Mitarbeiter als Zeugen benannt hatte. Offenbar befürchtete er, dass sein so hochgelobtes Team ihm in den Rücken fallen könnte, und das vermutlich nicht ganz zu Unrecht. Seine Äusserung, ich hätte „keine Ahnung von PCs“, versuchte er nun wie ein ertappter Schüler in „mehr Mühe beim Erlernen der neuen Tools“ zu verharmlosen, was genauso lächerlich war. Natürlich hätte er mir nie verboten, ein Käppi zu tragen. (Wehe, ich hätte es weiterhin getan!) Und meine Abneigung gegen Nacht- und Schichtarbeit sei nicht ausschlaggebend für die Entlassung gewesen. Nur warum stand sie dann als einziger konkreter Vorwurf im Kündigungsschreiben? Eine Einsicht war weit und breit nicht erkennbar, im Gegenteil. Er legte sogar noch eine Schippe drauf: Ich hätte unentschuldigt gefehlt und sei zwei Stunden zu spät zur Arbeit erschienen. Das bezog sich auf die bereits oben erwähnten Termine der Kontrolluntersuchungen meiner schwangeren Frau. Damit war er erneut zu weit gegangen. Wie bösartig musste ein Chef sein, um seinen Mitarbeitern aus seiner eigenen Vergesslichkeit einen Strick zu drehen?
Die Entscheidung, mich zu entlassen, hatte er nicht allein treffen können. Er benötigte dafür die Zustimmung des sogenannten „Führungsstabs“. Dieser bestand ausser aus Mathias Pichol aus vier weiteren Führungskräften. Mit den meisten von ihnen hatte ich nicht näher zu tun gehabt. Niemand davon konnte sich ein Urteil über mich erlauben, geschweige denn ein negatives. Weil sie im Zweifelsfall einem der ihren mehr Glauben schenkten als einem vermeintlich „aufmüpfigen“ neuen Mitarbeiter, hatte er leichtes Spiel, sie von meinen angeblich schlechten Leistungen und meinem „asozialen“ Verhalten zu überzeugen. Das nennt sich Verleumdung, ersatzweise üble Nachrede. Mein nächster Schritt bestand demzufolge darin, Mathias Pichol bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Ich rechnete nicht ernsthaft damit, dass diese Untersuchungen einleiten würde, und tatsächlich hat sie zwei Ausreden gefunden: Die Ver“jähr“ungsfrist für Verleumdung und üble Nachrede würde nur drei Monate betragen, und die Vorfälle lagen bereits ein halbes Jahr zurück. Ausserdem hätte Mathias Pichol die Lüge bezüglich meiner angeblich unentschuldigten Absenz in der Klageantwort nicht selbst geäussert, sondern sein Rechtsverdreher, und der dürfe das.
Natürlich hätte ich erneut jede Menge Argumente gehabt, die leeren Behauptungen von Mathias Pichol zu widerlegen, aber dazu kam es gar nicht erst: Der Richter schloss den Schriftwechsel und beraumte die mündliche Hauptverhandlung für den 15. Januar 2025 um 14.00 Uhr im Zivilgericht Olten-Gösgen, Römerstrasse 2, 4600 Olten, im 2. Stock in Zimmer 204 an. Die Verhandlung ist öffentlich. Natürlich sind alle Leser meines Blogs herzlich eingeladen, der Veranstaltung beizuwohnen.
Der Soziopath ist nicht emotionslos, will es aber sein. Es ist ein erlerntes Verhalten. Meistens aufgrund früher Traumata. Weil die seelischen Schmerzen nie verheilt sind, wählt der Soziopath einen Weg, sie zu kanalisieren: Er verletzt andere. Das entlastet ihn und reguliert seine Emotionen, macht ihn aber auch besonders hinterhältig. Oft entwickelt sich daraus eine Sucht – nach der Macht, andere (ungestraft) verletzen zu können. (https://karrierebibel.de/soziopath/)